Quelle: fotolia.com/Jürgen Fälchle

© fotolia.com/Jürgen Fälchle

Raumfahrt fasziniert. Sie ermöglicht es, den menschlichen Drang nach mehr Wissen über das Weltall und die fundamentalen Fragen der Physik zu befriedigen. Sie verändert und erweitert unseren Blick auf unseren Planeten. Im digitalen Zeitalter und angesichts der geopolitischen Lage sind Fähigkeiten im Weltraum aber auch wesentliche Bausteine der deutschen und europäischen Souveränität. Sie sind für unsere Sicherheit ebenso entscheidend wie für den Umwelt- und Klimaschutz, die Landwirtschaft und nicht zuletzt für die Digitalisierung, die Mobilität und die Konnektivität. Die wirtschaftliche, gesellschaftliche und strategische Bedeutung von Daten und Dienstleistungen aus dem All ist für Deutschland bereits heute enorm, wird aber in den kommenden Jahren nochmal deutlich ansteigen. 

Raumfahrt hat sich in den vergangenen Jahren zu einem dynamischen Wachstumsmarkt entwickelt; kommerzielle Akteure und Start-ups spielen dabei eine immer größere Rolle. Mit der New Space genannten privatwirtschaftlich finanzierten Raumfahrt entstehen derzeit neue Geschäftsmodelle an der Schnittstelle zur digitalen Welt. Unternehmen und Staat werden in den kommenden Jahren mehr denn je in Raumfahrt investieren, Privathaushalte werden mit steigender Tendenz Geld für Raumfahrtdienstleistungen ausgeben. Ob die entsprechende Wertschöpfung aber in Europa und in Deutschland stattfindet oder ob wir zunehmend ausländische Dienste einkaufen müssen, hängt von Entscheidungen ab, die heute getroffen werden. 

Neue Rahmenbedingungen, Chancen und Herausforderungen 

Seit Verabschiedung der deutschen Raumfahrtstrategie 2010 hat sich die Welt und mit ihr auch die Raumfahrt stark verändert. Egal, welche Kennzahl man heranzieht, alle zeigen fundamentale Steigerungen in der Raumfahrt: Die Anzahl der Satelliten im Erdorbit ist seit 2010 von ca. 3.200 auf über 8.000 angewachsen, heute betreiben mehr als 80 Nationen weltweit Raumfahrt – 2010 waren es etwa 50. Während staatliche zivile Raumfahrtbudgets seit 2010 um 50,1% erhöht wurden, sind die privaten Investitionen noch viel stärker angestiegen. Während z. B. die Investitionen in Raumfahrt-Start-ups von 2000 bis 2014 insgesamt nur 6 Mrd. US-Dollar betrugen, wurden alleine in 2021 mehr als 15 Mrd. US-Dollar in diesem Bereich investiert. Der Gesamtumsatz der weltweiten Raumfahrtökonomie ist von 277 Mrd. US-Dollar 2010 auf 469 Mrd. US-Dollar 2021 (+ 70%) gewachsen. 

Aber nicht nur das wirtschaftliche Gewicht und der Umfang der weltweiten Raumfahrt haben sich verändert, auch das geopolitische Umfeld, die technischen Möglichkeiten der und die Anforderungen an die Raumfahrt haben sich seit 2010 dramatisch gewandelt: 

Russland hat sich von einem 2010 geschätzten Partner bei der ISS und Anbieter günstiger Trägerraketen zum Aggressor entwickelt, mit dem eine Zusammenarbeit in der Raumfahrt auf absehbare Zeit kaum mehr möglich erscheint. China hat Russland seit 2015 mit seinem Raumfahrtbudget überholt und hinter den USA den zweiten Platz unter den Staaten eingenommen – mit einem Budget, das von der Summe aller europäischen Raumfahrtmittel nicht weit entfernt liegt – und ist zudem in der militärischen Raumfahrt hoch aktiv. Zwischen den USA und China hat ein neues Space Race um die Führungsrolle in der astronautischen Raumfahrt und um die Rückkehr zum Mond sowie darüber hinaus begonnen. In Europa äußert die Europäische Union seit 2009 zunehmend lauter den Anspruch auf eine umfassende Raumfahrtpolitik und hat diesen z. B. dadurch bekräftigt, dass sie die EUSPA als eine eigene Agentur für das EU-Weltraumprogramm gegründet hat – zusätzlich zur ESA, der seit 1975 unabhängig bestehenden zwischenstaatlichen Europäischen Weltraumagentur. Dies führt – angeheizt dadurch, dass Großbritannien seit dem Brexit zwar noch Mitglied der ESA, nicht aber mehr der EU ist – zu einer erheblich komplexeren institutionellen Aufstellung in der europäischen Raumfahrt. 

Seit 2010 sind neue und vor allem günstigere Startmöglichkeiten ins All entstanden. Der Aufbau von Megakonstellationen niedrig fliegender Satelliten hat der Raumfahrt neue Anwendungsfelder für die Satellitenkommunikation und die Erdbeobachtung beschert. Im Zuge dieses Trends nehmen ebenfalls kostengünstigere Kleinsatelliten und kommerziell betriebene Mikrolauncher eine größere Rolle ein. Zugleich ist mit der Zahl der Satelliten aber auch das Risiko von Kollisionen und damit einer Zunahme von Weltraummüll drastisch gestiegen. 

Klimakrise, Bevölkerungswachstum, zunehmende Vulnerabilität von Gesellschaften und Infrastruktur, Expansion von Megastädten, Ressourcenverknappung, Konflikte und ökonomische Ungleichgewichte verlangen nach vielfältigen und präzisen Informationen, um sinnvolle politische Entscheidungen treffen zu können. Zu all diesen Themenfeldern stellen Satelliten, z. B. die beiden hocherfolgreichen europäischen Programme Copernicus und Galileo, aber auch kommerzieller Anbieter, heute Daten zur Verfügung, die im Jahre 2010 noch Zukunftsmusik waren. 

Sechs prioritäre Handlungsfelder 

Angesichts dieser neuen Möglichkeiten und Herausforderungen braucht es starke Treiber für ein erfolgreiches europäisches Raumfahrt-Ökosystem. Geht man davon aus, dass wir zukünftig viel stärker auf Raumfahrtanwendungen angewiesen sein werden, um die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen und die eigene Souveränität sicherzustellen, steht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) als federführendes Raumfahrtressort fest, dass Raumfahrt ein wesentliches strategisches Feld für die Zukunft ist. Es stellt sich die entscheidende Frage, wie wir einen starken Technologie- und Forschungsstandort in der Raumfahrt sichern und weiterentwickeln, der uns in die Lage versetzt, die Chancen der Raumfahrt für Wirtschaft und Gesellschaft zu nutzen und die Sicherheit auf der Erde und im Orbit zu erhöhen. Mit diesem Papier setzt das BMWK Impulse zu dieser Frage in sechs wichtigen Handlungsfeldern.

Begrenzung der Klimakrise, Ressourcen- und Umweltschutz

Mit Raumfahrt das System Erde verstehen und das Klima schützen. Für Deutschland hat die Begrenzung der Klimakrise höchste Priorität. Mit Erdbeobachtungssatelliten lassen sich Veränderungen der Landoberfläche, der Meere und der Atmosphäre erkennen, um damit wichtige Erkenntnisse zum Verständnis des Systems Erde zu gewinnen. Seit 2010 hat sich die Zahl der weltweit aktiven Erdbeobachtungssatelliten mehr als vervierfacht. Das europäische Copernicus-System, das 2010 noch gar nicht existierte, ist voll operationell und wird stetig weiterentwickelt. Mit den Copernicus-Satelliten über ein optisches Hochgeschwindigkeitsrelais hat Europa hier einen weltweiten Standard gesetzt. Nationale Erdbeobachtungssatelliten wie der im April 2022 gestartete Satellit EnMAP leisten wichtige Beiträge zum Verständnis des Systems Erde. Zudem haben sich zahlreiche private Anbieter von Erdbeobachtungsdaten und -services am Markt etabliert. Raumfahrt ist hier eine einzigartige Quelle klimarelevanter Informationen (z. B. Treibhausgasmonitoring oder das Scannen von Pflanzenbewuchs), trägt zu faktenbasierten Entscheidungen für Klima- und Artenschutz bei, ermöglicht die Überwachung von Klimamaßnahmen und unterstützt die ökologische Transformation der Wirtschaft (z. B. durch Hinweise für die optimale Standortwahl von Solar- oder Windkraftanlagen oder durch ihre technologische Vorreiterrolle bei Hochleistungssolarzellen oder Wasseraufbereitungssystemen) und leistet einen entscheidenden Beitrag zur Katastrophenhilfe, -vorhersage und -prävention (z.B. Fluten, Waldbrände oder Dürre). Mit dem großen Ziel, einen digitalen Zwilling unseres Planeten zu ermöglichen, können wir zukünftigen Klimaschutz auf ein neues Fundament stellen.

Offene Fragen. Deutschland will als Hightech- und Innovationsstandort an diesem extrem wichtigen Feld seine führende Rolle in Klimaschutztechnologien verstetigen und ausbauen und Politik, Forschung, Behörden und Industrie mit den erforderlichen Erdbeobachtungsdaten versorgen.

  • Welche kritischen Bedarfe gibt es, die nicht durch andere Missionen abgedeckt werden?
  • Welche Rolle müssen auch künftig staatliche Infrastrukturen spielen, sprich: Wo wollen/müssen wir auch künftig staatliche Satelliten entwickeln und bauen?
  • Welche Rolle spielen künftig kommerzielle Datenanbieter bei der Deckung hoheitlicher Bedarfe und wie fördern wir Downstream-Aktivitäten optimal?
  • Welche Technologien wollen wir aus strategischen oder industriepolitischen Gründen national entwickeln, für welche bieten sich europäische oder internationale Kooperationen an?
  • Wie können Raumfahrtanwendungen und Technologietransfer aus der Raumfahrt die ökologische Transformation unterstützen?
  • Wo können Satellitendaten bei der Früherkennung, dem Monitoring und der Mitigation von Naturkatastrophen, z.B. Fluten oder Waldbrände, besser und wirkungsvoller eingesetzt werden?

Hightech und New Space: Raumfahrt als Wachstumsmarkt

Raumfahrt, ein wirtschaftlicher Boom-Sektor, den es mitzugestalten gilt. Mit EUMETSAT-Wettersatelliten, der kommerziellen Satellitenkommunikation und den europäischen Flaggschiffprogrammen Galileo und Copernicus wird Raumfahrt heute tagtäglich operationell genutzt. Dadurch sind vielfältige kommerzielle Dienstleistungen und datengetriebene Geschäftsmodelle für Raumfahrtanwendungen entstanden, die neue Perspektiven für zahlreiche Wirtschaftszweige eröffnen und auch staatliche Raumfahrtbedarfe decken. Seit etwa 15 Jahren gibt New Space neue Impulse in die Raumfahrt und hat die weltweite Dynamik auf eine völlig neue Ebene von Technologieentwicklung und Wettbewerb gehoben. Raumfahrtfremde Akteure und Start-ups mit innovativen Geschäftsmodellen spielen dabei eine wichtige Rolle. Zudem eröffnen Entwicklungen wie Digitalisierung und Industrie 4.0 sowie die Konvergenz von Wirtschaftsfeldern ganz neue Potenziale für die Raumfahrt. Die Gesamterträge des globalen Raumfahrtmarktes sind zwischen 2015 und 2020 mehr als doppelt so stark gewachsen wie die Weltwirtschaft insgesamt (2,5 % p.a.). Experten schätzen, dass der globale Raumfahrtmarkt bis zum Jahr 2040 auf mehr als 1,1 Billionen US-Dollar anwachsen wird. Diese Perspektive macht die Raumfahrt für private Akteure und Start-ups sehr interessant. Es entsteht ein Zukunftsfeld von völlig neuer Qualität, in dem private Akteure zunehmend entscheidende Weichen stellen. Umso relevanter ist es für Deutschland und Europa, an diesen Weichenstellungen aktiv zu partizipieren.

Offene Fragen. Deutschland will ein Umfeld bieten, in dem sich innovative privatwirtschaftliche Raumfahrtakteure entfalten und die Entwicklung des Ökosystems Raumfahrt mitgestalten können.

  • Wie geben wir New-Space-Geschäftsmodellen im Upstream wie im Downstream-Bereich die besten Chancen (z. B. durch einen regulatorischen Rahmen, Standards, Aufstellung der ESA und der Raumfahrtagentur im DLR u. ä.)?
  • Wie können Ankerkundenmodelle der deutschen öffentlichen Hand funktionieren, so dass sie Unternehmen einen Markt eröffnen, der private Investoren anzieht?
  • Wie schaffen wir es, den Anteil der deutschen Raumfahrt, besonders von Start-ups und mittelständischen Unternehmen, am Weltmarkt zu steigern? Inwieweit könnte die Europäische Konnektivitätsinitiative hier hilfreich sein?
  • Wie unterstützen wir das Zusammenwachsen von Raumfahrt mit anderen Industriefeldern, um mit Raumfahrtentwicklungen neue wirtschaftliche Wertschöpfung zu generieren (z. B. Mobilfunk, Automotive u. a.)?
  • Gibt es kommerzielle Anwendungen, bei denen Deutschland besonders gute Voraussetzungen hat und auf die sich die öffentliche Seite daher stärker konzentrieren sollte?

Internationale Weltraumforschung und Exploration

Die Erforschung des Weltraums, Forschung im All und Exploration als zentrale strategische und neugiergetriebene Zukunftsfelder. Deutschland hat im europäischen und internationalen Vergleich eine starke Position in der Erforschung des Sonnensystems und des Universums. Mit Raumfahrt gewinnen wir grundlegende Erkenntnisse über das Universum und unseren Planeten. Zudem ist der Weltraum und insbesondere die Internationale Raumstation ISS unter anderem für Medizin, Biologie, Fundamentalphysik und Materialforschung eine einmalige Laborumgebung. Die dort stattfindende Forschung liefert Innovationen, die das Leben auf der Erde verbessern. Die ISS ist dabei auch ein politisches Symbol und nach wie vor ein Vorbild dafür, wie globale Kooperation und multilaterale Ansätze funktionieren können. Deutschland hat dieses völkerverbindende Projekt immer unterstützt und ist mit großem Abstand wichtigster europäischer Akteur. Auf der ESA-Ministerratskonferenz 2022 wird Europa voraussichtlich die weitere Nutzung der ISS bis mindestens 2030 beschließen.

Mit der Kooperation Europas mit den USA bei den Artemis Missionen ist zudem eine neue Ära der Mondexploration eingeläutet, in der wir erstmals Partner mit starker Technologie aus Deutschland und europäischen Astronautinnen und Astronauten sind. Menschen in der Raumfahrt transportieren in besonderer Weise die Erkenntnisse aus dem Perspektivwechsel im Orbit und ermöglichen Forschung und Missionen, die durch robotische Raumfahrt beschränkt bleiben.

Offene Fragen. Bezüglich der Weltraumwissenschaft stellt sich vor allem die Frage, wie wir die gute deutsche Positionierung erhalten, wo wir sie ausbauen und wo stärker priorisieren möchten:

  • Kann die thematische Breite in der Erforschung des Weltraums erhalten und ausgebaut werden oder sollte sie stärker fokussiert werden?
  • Sind dafür neben dem ESA-Wissenschaftsprogramm mehr direkte Kooperationen mit internationalen Partnern interessant?
  • Welche Rolle können Kleinmissionen in der Erforschung des Weltraums spielen und würde eine nationale wissenschaftliche Kleinmission zur Stärkung der deutschen Weltraumforschung beitragen?
  • Welche neuen Geschäftsmodelle entstehen im Bereich der Exploration mit kommerziellen Anbietern von Robotik, Raumtransportern und In-Orbit Tests, u.ä.?

Insbesondere die astronautische Raumfahrt ist ein Feld, in dem Deutschland vor einer Reihe richtungsweisender Entscheidungen steht:

  • Wenn die USA nach Ende der ISS Forschungsmöglichkeiten im niedrigen Erdorbit als Service bei US-Unternehmen einkaufen, was sollte Deutschland/Europa anbieten, um nicht nur Nutzer einer Serviceleistung zu sein (Stichwort veränderte Barter-Situation)? Oder wäre auch die Nutzerrolle ein geeignetes Szenario?
  • Wie aktiv unterstützt Deutschland selbst Geschäftsmodelle im niedrigen Erdorbit (Forschung oder gar Produktion)? Oder benötigt Europa hier eine eigene Forschungsinfrastruktur, vielleicht sogar eine eigene Transportkapazität für Astronauten?
  • Möchte Deutschland Astronauten auch jenseits des Erdorbits einsetzen? Wenn ja, wie hoch priorisieren wir astronautische Aktivitäten Richtung Mond und Mars, auch im Vergleich zu anderen Raumfahrtaktivitäten?
  • Welche deutschen Fähigkeiten machen uns als Partner für astronautische und robotische Missionen interessant? Wie können wir sie erhalten/ausbauen? Welche neuen Fähigkeiten sollten wir entwickeln?

Nachhaltigkeit im All

Weltraummüll vermeiden und entfernen – Raumfahrt nachhaltig sichern. Die Kehrseite der aktuellen wirtschaftlichen Dynamik der Raumfahrt ist der Weltraummüll, der sich vor allem in den wichtigen Erdorbits anhäuft. Künftigen Generationen die Nutzbarkeit des Weltraums zu erhalten ist für Deutschland ein wichtiges Ziel. Um gefährliche Kollisionen zu vermeiden, bedarf es internationaler Regulierungen. Deutschland hat die Zuständigkeit der Vereinten Nationen dafür immer unterstützt und setzt sich innerhalb der UN für Maßnahmen zur nachhaltigen Nutzung des Weltraums ein. Zugleich sind Technologien und Geschäftsmodelle für Weltraumüberwachung und Weltraummüll-Vermeidung und -Beseitigung erforderlich, die die Belastung der Erdorbits reduzieren (z. B. Weltraumlagesensorik, wartbare Satelliten, Rückholsysteme, Space Debris Removal und On-Orbit-Servicing). Mit der richtigen Regulierung kann hier ein eigenes Geschäftsfeld für die Raumfahrtindustrie entstehen.

Offene Fragen. Sowohl bei der rechtlichen als auch bei der technologischen Thematik sind wichtige Entscheidungen zu treffen:

  • Wie können wirksame, aber dennoch markttaugliche Nachhaltigkeitsstandards, Richtlinien und Best-Practice-Regeln für Industrie und Forschung aussehen, mit denen Deutschland international ein Beispiel gäbe?
  • Welche Regulierungsansätze sollten auf internationaler Ebene angestrebt werden? Wie kann man vermeiden, dass das „Aufräumen“ im All öffentlich finanziert wird, während das „Verschmutzen“ umsonst ist?
  • Bedarf Weltraummüllentsorgung als spannendes Geschäftsmodell für deutsche Unternehmen gesonderter Förderung?
  • Wie sollte sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Ressourcennutzung auf Himmelskörpern positionieren?
  • Welche Fähigkeiten und Bedarfe gibt es zukünftig bei der Weltraumlageüberwachung in Deutschland?

Sicherheit, strategische Handlungsfähigkeit und globale Stabilität

Raumfahrt für strategische Handlungsfreiheit und industrielle Unabhängigkeit. Die geopolitische Lage, zunehmende Handelskonflikte und gestörte Lieferketten haben gezeigt, wie relevant resiliente Infrastruktur und Technologiefähigkeiten sind. Satellitensysteme, die unserer Wirtschaft und Gesellschaft kritische Kommunikations-, Erdbeobachtungs- und Navigations-Dienste bereitstellen, sind zunehmend Risiken und Bedrohungen ausgesetzt. Auch setzen bestimmte staatliche Entscheidungs- und Handlungsoptionen einen gesicherten Zugang zu modernen Raumfahrttechnologien und weltraumgestützte Fähigkeiten voraus. Deutschland ist in einigen Bereichen (wie z.B. Erdbeobachtung, Satellitenkommunikation und Raumfahrtrobotik) entweder alleine handlungsfähig oder verfügt über Fähigkeiten, die Deutschland zu einem kompetenten Kooperationspartner machen. Deutschland und Europa werden beim Schutz der Raumfahrtsysteme und trotz wichtiger Souveränitätsambitionen in der Raumfahrt aber auch weiterhin auf Bündnispartner vertrauen und auf deren Fähigkeiten bauen. Europa kann vor allem dann ein starker Akteur in der weltweiten Raumfahrt sein, wenn es gelingt, eine effiziente Aufgabenverteilung zu etablieren. Deutschland sieht eine starke und eigenständige ESA als Technologieentwickler und die EU als Nachfrager und Betreiber von Infrastrukturen wie Copernicus und Galileo hierbei als Schlüssel zum Erfolg an Deutschland hat außerdem massiv in einen kostengünstigen und unabhängigen Zugang zum All für europäische institutionelle Satelliten investiert. Bei der Entwicklung zukünftiger Trägersysteme sollen unternehmerisches Risiko und privates Kapital eine immer wichtigere Rolle spielen, so dass die öffentliche Hand zukünftig immer stärker als Nachfrager von Startdienstleistungen von verschiedenen Anbietern auftreten kann, ohne Trägerentwicklungen zu finanzieren.

Offene Fragen. Auf dem Feld von Sicherheit und Souveränität sind eine Reihe strategischer, technologischer, aber auch industriepolitischer Fragen zu klären:

  • Welche Raumfahrttechnologien und -fähigkeiten dienen der Souveränität, welche der Bündnisvertiefung?
  • Welche staatlichen Maßnahmen sind notwendig, um auch zukünftig deutsche Schlüsseltechnologien nicht nur zu fördern, sondern auch zu erhalten und zu schützen?
  • In welche Fähigkeiten müssen Deutschland/Europa vorrangig investieren, um bei begrenzten Mitteleinsatz strategische Handlungsfreiheit zu erreichen?
  • Welche Rolle spielt dabei der europäische Zugang zum All und was muss er umfassen? Wie kann in der Trägerentwicklung die Innovationskraft der Industrie am besten genutzt und der Anreiz erhöht werden, schlanke Strukturen zu schaffen?
  • Wie lassen sich die Synergien der Raumfahrt als Dual-Use-Technologie (z. B. Cyber-Sicherheit, Erderkundungstechnologien, Satellitenkommunikation und Weltraumlage) am besten aktivieren?
  • Wo braucht es nationale Unabhängigkeit, wo sind Kooperationen auf europäischer, wo auf internationaler Ebene sinnvoll? Ist z.B. im Bereich der Erdbeobachtung und Aufklärung ein EU-Ansatz einschließlich der Nutzung für Sicherheits- und Verteidigungszwecke denkbar, und wenn ja, sollte dies als Teil von Copernicus aufgebaut werden?

Zukunftstechnologien und Talente

Wettbewerbsfähigkeit und Technologieführerschaft sichern. Um Raumfahrt zu betreiben, braucht es Hightech an der Grenze des physikalisch Machbaren. Gleichzeitig liefert sie vielversprechende Zukunftstechnologien, die zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen. Dazu gehören Satellitenkommunikation und -navigation, Laserkommunikation und Quantentechnologien, innovative Erdbeobachtungssensorik (Radar, Lidar und Optik), Satellitenantriebe sowie Weltraumrobotik (z. B. zur Vermeidung und Bekämpfung von Weltraummüll). Für den New-Space-Bereich sind Kleinsatelliten sind eine zentrale Triebfeder. Geschätzte 90% der bis 2030 startenden Satelliten werden Kleinsatelliten sein. Deutschland besitzt eine führende Position in der Kleinsatellitentechnik, die sich bislang jedoch noch nicht in einer führenden Position deutscher Unternehmen am internationalen Markt niederschlägt. Als weiterer Aspekt hat seit 2010 die Dynamik der Digitalisierung enorm zugenommen. Herausforderungen bestehen dabei etwa beim Einsatz von Raumfahrttechnologien für autonome Mobilität, bei der Integration in die Mobilfunkstandards 5G/6G, der Nutzung von Raumfahrttechnologien zum Aufspannen des Internet of Things, der digitalen Verknüpfung von Wertschöpfungsketten im Sinne von Industrie 4.0 oder der Nutzung von KI zur Auswertung großer Datenströme wie bspw. aus der Erdbeobachtung. Neben Technologien sind auch Talente entscheidend. Wir brauchen starken Nachwuchs, der sowohl an der Forschung und Entwicklung als auch in der Gründung aktiv ist. Zudem muss die Raumfahrt diverser werden, denn gemischte Teams sind innovativer und angesichts des Fachkräftemangels können wir auf niemanden verzichten.

Offene Fragen. Die zentrale strategische Frage bei den Zukunftstechnologien ist, wie es gelingt, Stärken zu sicher, neue Trends rechtzeitig zu erkennen und neue Kompetenzen aufzubauen. Im Einzelnen sind folgende Fragen relevant:

  • Wo ist Deutschland aktuell besonders gut aufgestellt? Wie kann man das erhalten/ausbauen? Was soll zusätzlich entwickelt werden?
  • Wo braucht es nationale Unabhängigkeit, wo bieten sich europäische oder internationale Kooperationen an?
  • Wie gelingt es, die gesamte Wertschöpfungskette im Kleinsatellitenbereich zu stimulieren, vom Bau und Komponentenentwicklung, über Mikrolauncher und Satellitenbetrieb inklusive der benötigten Bodenstationen bis zur Verarbeitung, Nutzung und Vermarktung der dabei gewonnenen Daten?
  • Wie lässt sich die Digitalisierung für die Raumfahrt besser nutzen und wie die Raumfahrt für die Digitalisierung?
  • Wie können die robotischen Technologien und die operativen Fähigkeiten aus Deutschland im Weltraum zum Einsatz kommen?
  • Wie kommt Robotik aus Deutschland im großen Maßstab zum Einsatz im Weltall?
  • Wie kann man Zukunftstechnologien frühzeitig identifizieren und fördern, um die langen Vorlaufzeiten in der Raumfahrt dadurch aufzufangen?
  • Wie sollte eine Förderkette aussehen, die von einer innovativen Technologie zu einem marktreifen Produkt, das ohne Förderung besteht, führt?
  • Wie könnte eine gemeinsame Strategie mit den Ländern für die Gewinnung von Ingenieurinnen und Ingenieure der Raumfahrt aussehen?
  • Wie können Studierendenprojekte noch besser für die Entstehung von Start-ups genutzt werden?
  • Welche Rolle kann Deutschland national oder über die ESA spielen, um Nachwuchsprogramme weiter zu stärken?
  • Wie kann insbesondere die Faszination der Raumfahrt noch breiter gesellschaftlich vermittelt werden, um junge Menschen für einen relevanten Ausbildungsweg zu gewinnen?

Fazit

Deutschland muss sich in seiner neuen Raumfahrtstrategie ambitionierte Ziele setzen, für die jetzt die Weichen richtig gestellt werden müssen: Kurzfristig müssen wir dafür sorgen, dass die Raumfahrt bestmöglich zur Bewältigung der Klimakrise und anderer gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt. Gleichzeitig müssen wir die Voraussetzung dafür schaffen, dass sich die deutsche Industrie im New-Space-Markt platzieren kann (Stichworte: Kleinsatelliten, Mikrolauncher und die öffentliche Hand als Ankerkunde für Datenservices) und unsere technologischen Errungenschaften (z. B. in der Erdbeobachtung und der Laserkommunikation) zukunftsfähig aufstellen. Wir müssen eine europäische Konnektivitätsinitiative auf den Weg bringen und dabei Wettbewerb und Bedarf im Auge behalten. Wir müssen uns für eine nachhaltige Nutzbarkeit des Weltraums einsetzen. Und zwar indem wir für verbindliche, internationale Regelungen kämpfen und wettbewerbsfähige Technologien zur Vermeidung und Beseitigung von Weltraummüll entwickeln. Mittelfristig müssen die europäischen Raumfahrtstrukturen noch effizienter werden, u. a. müssen die Rollen von ESA und EU in der Raumfahrt eindeutig geklärt werden. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen wir heute festlegen, welche Rolle Deutschland in der Exploration des Weltalls spielen kann und will: Was geschieht nach dem Ende der Internationalen Raumstation ISS, wie beteiligen wir uns am US-amerikanischen Artemis-Programm?

Raumfahrt war schon immer pure Faszination. Diese gilt es noch stärker mit der gesamten Gesellschaft zu teilen und eine breite Debatte über die Bedeutung der Raumfahrt für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu führen. Raumfahrt ist heute schon kritische Infrastruktur und immer stärker ein hoch dynamischer Markt. Sie ist bereits und wird künftig noch mehr ein Schlüssel zur Lösung vieler globaler Herausforderungen sein, denen wir uns stellen müssen. Die Bundesregierung hat dies erkannt und will die Raumfahrt nutzen, zum Wohle Deutschlands, Europas und der Welt.