Im Jahr 2009 hat Deutschland den Vorschlag der Föderalismuskommission II umgesetzt und eine neue Schuldenregel im Grundgesetz verankert. Sie ist seit 2011 für Bund und Länder gültig und begrenzt die Nettokreditaufnahme. Dabei sieht das Grundgesetz vor, dass die Auswirkungen einer Abweichung der konjunkturellen Lage von der sogenannten „Normallage“ auf den Haushalt (symmetrisch) zu berücksichtigen sind. Die Abweichung der konjunkturellen Lage von der Normallage wird mit Hilfe der Konjunkturbereinigung ermittelt. Diese ist damit ein integraler Bestandteil der nationalen Schuldenregel; auch auf EU-Ebene ist sie im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts in den europäischen Fiskalregeln verankert.
Hinter der Berücksichtigung der konjunkturellen Lage in den Schuldenregeln steht die Grundidee, dass Zeiten einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung der zulässige Verschuldungsspielraum vergrößert werden soll, während er in wirtschaftlich stärkeren Zeiten zu reduzieren ist. Die Konjunkturbereinigung soll ein freies Wirken der sogenannten automatischen Stabilisatoren (bspw. steigende Ausgaben und sinkende Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme im Abschwung) ermöglichen. Insgesamt soll dabei sichergestellt sein, dass sich konjunkturelle Defizite und konjunkturelle Überschüsse (in etwa) ausgleichen und damit die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gewährleistet wird. Dies entspricht der Intention der grundgesetzlichen Schuldenregel..
Um die Auswirkungen einer Abweichung der wirtschaftlichen Lage von der Normallage auf den Staatshaushalt in der Praxis ermitteln zu können, muss zunächst das Ausmaß dieser Abweichung festgestellt werden. Dazu wird die tatsächliche Wirtschaftsleistung in zwei Komponenten aufgeteilt: eine, die der konjunkturellen Normallage entspricht und eine, welche die Abweichung davon erfasst. Da diese beiden Komponenten nicht beobachtbar sind, müssen sie geschätzt werden.
Die konjunkturelle Normallage wird beim Konjunkturbereinigungsverfahren im Rahmen der nationalen (und europäischen) Schuldenregel durch das gesamtwirtschaftliche Produktionspotenzial dargestellt. Die Differenz zwischen der tatsächlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) und der so operationalisierten Wirtschaftsleistung in der konjunkturellen Normallage (Produktionspotenzial) wird in der Literatur auch als Produktionslücke bezeichnet (englisch: Output Gap). Sie ist ein Maß für die konjunkturell bedingte Abweichung der Volkswirtschaft von ihrer Normallage und kann sowohl negative als auch positive Werte annehmen. Ist die Produktionslücke stark negativ, deutet dies auf eine (deutliche) Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten hin, wie es beispielsweise im Zuge der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 der Fall war. Eine stark positive Produktionslücke ist hingegen tendenziell ein Indikator für eine Überauslastung der Produktionskapazitäten, die typischerweise in konjunkturellen Hochphasen auftritt.
Die Produktionslücke wird multipliziert mit der sogenannten Budget-Semielastizität, um die Konjunkturkomponente zu erhalten, welche schließlich in die Bestimmung der zulässigen Obergrenze für die Nettokreditaufnahme bei der Haushaltsaufstellung einfließt. Die Budget-Semielastizität beschreibt das Ausmaß der Wirkung der automatischen Stabilisatoren, d. h. wie stark die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben auf eine konjunkturbedingte Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität reagieren.
Grundidee des Konjunkturbereinigungsverfahrens im Rahmen der nationalen (und europäischen) Schuldenregel: Tatsächliche Wirtschaftsleistung (BIP)
= (strukturelle) Wirtschaftsleistung bei konjunktureller Normallage Konjunkturkomponente = (nominale) Produktionslücke × Budget-Semielastizität |