1. Reallabore brauchen rechtliche Spielräume
Ein Kernziel der Reallabore-Strategie besteht darin, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass die Erprobung von innovativen Technologien, Produkten, Dienstleistungen oder Ansätzen ermöglicht und erleichtert wird.
Mehr Luft zum Atmen: Experimentierklauseln
Wenn wir dem Fortschritt nicht „regulatorisch hinterherlaufen“ wollen, brauchen wir in Zukunft mehr Flexibilität und „Luft zum Atmen“. Experimentierklauseln stellen zentrale Bausteine dar, um den Rechtsrahmen innovationsoffen und zukunftsorientiert zu gestalten. Die Reallabore-Strategie zielt deshalb darauf ab, neuen Gesetzen und Verordnungen durch die verstärkte Anwendung von Experimentierklausel mehr Flexibilität zu verleihen sowie bestehende Klauseln zu verbessern.
Es ist von entscheidender Bedeutung, Experimentierklauseln von Anfang an bei der Erarbeitung und Novellierung von Gesetzen mitzudenken und stets ihre Erforderlichkeit und die Umsetzungsmöglichkeiten zu prüfen. Daher werden künftig alle Gesetzentwürfe von Bundesministerien verbindlich darauf geprüft, ob mit der Aufnahme von Experimentierklauseln innovativen Ideen mehr Freiraum gegeben werden kann (siehe oben zum Maßnahmenpaket zum Reallabore-Gesetz). Um bei der Formulierung von Experimentierklauseln zu unterstützen, stellt das BMWK zudem eine Arbeitshilfe zur Verfügung. Die Arbeitshilfe beschreibt fünf Schritte um eine rechtssichere und innovationsoffene Experimentierklausel zu entwickeln und bietet einen konkreten „Setzkasten“ als Formulierungshilfe. Sie basiert auf einem umfangreichen Gutachten (PDF, 5 MB) der Kanzlei Noerr im Auftrag des BMWK. Sie wurde 2024 auf Basis eines ergänzenden Gutachtens der Kanzlei Noerr im Auftrag des BMWK aktualisiert und erweitert. Auf Grundlage dieser Arbeitshilfe arbeitet die Geschäftsstelle Reallabore eng mit den betroffenen Ressorts zusammen, um neue Experimentierklauseln zu schaffen und die bestehenden Regelungen zu verbessern.
Im deutschen Recht haben Experimentierklauseln zuletzt weiter an Bedeutung gewonnen und sind bereits in unterschiedlichen Regelungsbereichen verankert. Bekannte Beispiele im nationalen Recht sind die Regeln zur Erprobung neuer Verkehrsarten oder Verkehrsmittel in der Personenbeförderung (§ 2 Abs. 7 Personenbeförderungsgesetz) und im Bereich des autonomen Fahrens (§ 1 i StVG i. V. m. §16 AFGBV), zur Erprobung neuer Versorgungsdienstleistungen im Bereich Post (§23 PostG) oder der Erprobung neuer Stoffe im Bereich Düngemittel (§4 DüMV).
Internationale Vorbilder und europäischer Rahmen
Auch das europäische Recht spielt oft eine wichtige Rolle für Reallabore. Im Rahmen der deutschen Präsidentschaft hat der Rat der Europäischen Union am 16. November 2020 Ratsschlussfolgerungen zu Reallaboren und Experimentierklauseln beschlossen. Damit haben die EU-Mitgliedstaaten erstmals ein gemeinsames europaweites Verständnis geschaffen, was Reallabore (englisch: „regulatory sandboxes“) sind und welche Chancen sie bieten. Außerdem stellen Reallabore eine zentrale Maßnahme der EU-Innovationsagenda dar. Denn wenn es darum geht, die gesetzlichen Grundlagen für Reallabore zu verbessern, ist oftmals auch die Europäische Kommission gefragt.
So wurden oder werden aktuell in verschiedenen EU-Rechtsakten Reallabore und Experimentierklauseln verankert, zum Beispiel in der KI-Verordnung, im Net Zero Industry Act, Industrieemissionsrichtlinie, Interoperable Europe Act.
Im Bereich Künstlicher Intelligenz hat die EU-Kommission in ihrer am 1. August 2024 in Kraft getretenen KI-Verordnung den Rahmen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Europa gesetzt. Die KI-Verordnung enthält auch Regelungen für sogenannte KI-Reallabore, die Freiräume zur Erprobung von Innovationen schaffen. Die Verordnung sieht dabei u. a. erweiterte rechtliche Möglichkeiten zur Datennutzung im KI-Reallabor und intensive Begleitung durch die zuständigen Behörden vor. Insgesamt werden die Interessen und Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) sowie Start-ups verstärkt berücksichtigt. Gerade für Start-ups und KMU sind Reallabore von zentraler Bedeutung, um neue KI-Systeme rechtsicher zu erproben und zu entwickeln.
Das Gutachten „Reallabore – Überblick über internationale regulatorische Ansätze und ihre Umsetzbarkeit in deutsches Recht“ zeigt, welche rechtlichen Erprobungsansätze weltweit zum Einsatz kommen. Davon ausgehend untersucht es für Frankreich, Dänemark und Japan im Detail, welche Ansätze in das deutsche Recht überführt werden könnten.
2. Know-how-Transfer und Vernetzung
Wir müssen Unsicherheiten und Informationsdefizite abbauen sowie die Vernetzung und den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung verbessern. In vielen laufenden und geplanten Projekten tauchen immer wieder dieselben Fragen auf: Ist so etwas rechtlich möglich? An wen muss ich mich wenden? Wo finde ich mögliche Projektpartner? Wie steht es um Fragen der Haftung und Versicherung? Wer kann mich unterstützen?
Die Beantwortung dieser Fragen kosten Zeit und Kraft – nicht selten ein Grund dafür, dass innovative und Erfolg versprechende Ideen nicht umgesetzt werden.
Reallabore-Innovationsportal
Als Teil des Maßnahmenpakets zum Reallabore-Gesetz wird ab Frühjahr 2025 das Reallabore-Innovationsportal als zentrale Anlaufstelle für Beratung, Information, Vernetzung und Wissenstransfer rund um Reallabore dienen. Als digitale Plattform soll es leicht zugänglich und bürokratiearm die Planung, Umsetzung, Durchführung und Evaluierung von Reallaboren in der Praxis unterstützen und Erkenntnisse aus Reallaboren an die für die relevanten rechtlichen Regelungen zuständigen Stellen weitergeben. So können die Regeln für Innovationen schnell angepasst und eine zügige Zulassung und Skalierung von erfolgreich im Reallabor erprobten Innovationen erreicht werden.
Das Reallabore-Innovationsportal wurde im Reallabore-Gesetz verankert und soll zunächst im Rahmen eines maximal vierjährigen Pilotbetriebs getestet werden. Ein Dienstleistungsauftrag wurde bereits vergeben und der Aufbau des Reallabore-Innovationsportals startet im November 2024.
„Netzwerk Reallabore“
Mit Inbetriebnahme des Reallabore-Innovationsportals wird auch das seit 2019 bestehende „Netzwerk Reallabore“ in die digitale Plattform integriert. Im Rahmen der Beratung durch das Reallabore-Innovationsportal wird die Vermittlung des Kontakts zu Praktikerinnen und Praktikern aus dem Netzwerk Reallabore bei spezifischen Einzelfragen eine wichtige Rolle spielen. Hierzu wird im Rahmen des bestehenden Netzwerks Reallabore eine Struktur mit themenspezifischen Fachgruppen aus Expertinnen und Experten sowie ein Mentoringprogramm mit freiwilligen Patinnen und Paten für Reallabore aufgebaut. Das Netzwerk kann auch dazu dienen, Projektpartner, wie zum Beispiel ein Start-up mit einer innovativen Idee und eine experimentierfreudige Gemeinde, zusammenzuführen. Mittlerweile hat das Netzwerk über 1.000 Mitglieder.
Handbuch Reallabore
Unser Ziel ist es, Informationsdefizite abzubauen, Synergieeffekte zu nutzen und Doppelarbeit zu vermeiden. Daher hat das BMWK bereits 2019 das „Handbuch Reallabore“ entwickelt. Damit sollen die relevanten Akteure die richtigen und notwendigen Fragen stellen und gleichzeitig bei der Beantwortung unterstützt werden. Das Handbuch informiert über rechtliche Fragestellungen und zeigt gelungene Beispiele aus der Praxis. Auf der Basis von Informationen aus dem Pilotbetrieb des Reallabore-Innovationsportals ist eine Aktualisierung des „Handbuch Reallabore“ geplant, um Unterstützung optimal an die Bedürfnisse der Anwender anzupassen.
„Praxishilfe zum Datenschutz in Reallaboren“
Für Reallabore ist die Umsetzung der datenschutzrechtlichen Vorgaben der DSGVO häufig mit Herausforderungen verbunden. Die datenschutzrechtlichen Regelungen enthalten jedoch an vielen Stellen Spielräume, die sich gerade für die Erprobung digitaler Innovationen nutzbar machen lassen. Das Datenschutzrecht gibt dem Rechtsanwender eine Reihe flexibler Instrumente an die Hand, die eine rechtskonforme Erprobung digitaler Innovationen zulassen und in der Praxis oftmals unterschätzt werden.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat mit der Praxishilfe zum Datenschutz in Reallaboren eine Broschüre vorgelegt, in der die wichtigsten datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Erprobung von Innovationen in Reallaboren aufgezeigt und Hinweise gegeben werden, wie Unternehmen damit erfolgreich umgehen können. Die Praxishilfe basiert auf einem umfangreichen Gutachten der Kanzlei Noerr im Auftrag des BMWK.
Interministerielle Arbeitsgruppe Reallabore und Bund-Länder-Arbeitskreis Reallabore
Die konkreten Anwendungsfelder von Reallaboren sind vielfältig und gehen weit über die Zuständigkeiten des BMWK hinaus. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Ressorts sowie mit den Ländern ist daher zentrale Voraussetzung für die stete Verbesserung und Gestaltung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen für Reallabore.
Um den Austausch zu vereinfachen, wurde die „Interministerielle Arbeitsgruppe Reallabore“ ins Leben gerufen, die seit 2019 regelmäßig tagt. Ebenso existiert seit Mai 2023 ein Bund-Länder-Arbeitskreis Reallabore, der insbesondere die Einbindung der Länder in die Erarbeitung des Reallabore-Gesetzes und der begleitenden Maßnahmen sicherstellt. Es gibt einen breiten Konsens der Ressorts und Länder, dass Reallabore in Zeiten des digitalen und nachhaltigen Wandels ein wichtiges und notwendiges Instrument darstellen, um den Regulierungsrahmen weiterzuentwickeln und Innovation in Deutschland zu ermöglichen.
|