Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) haben die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW im Zeitraum von Mitte Juli 2022 bis Anfang September 2022 einen zweiten Stresstest (zweite Sonderanalyse) für den Winter 2022 / 2023 durchgeführt.

Dieser zweite Stresstest knüpft an frühere Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber an. So führen die ÜNB einmal pro Jahr gemäß den gesetzlichen Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes eine jährliche Systemanalyse durch, die jeweils zum 30. April eines Jahres veröffentlicht wird. Diese jährliche Analyse wurde auch in diesem Jahr am 30.04.2022 veröffentlicht und kam zu dem Ergebnis, dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes gewährleistet ist. Die Jahresanalyse basierte auf Daten bis einschließlich Dezember 2021 und bildete demzufolge Entwicklungen nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine noch nicht ab. Daher haben die Übertragungsnetzbetreiber im Zeitraum von März bis Mai 2022 einen ersten Stresstest, d.h. eine erste Sonderanalyse berechnet, die den russischen Angriffskrieg und die infolge des Krieges gestiegenen Energiepreise und auch den möglichen Ausfall russischer Gaslieferungen bereits berücksichtigte. Auch die zweite Sonderanalyse wurde veröffentlicht. Siekam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 gewährleistet ist.

Da sich in den vergangenen Monaten und vor allem über den Sommer die Unsicherheitsfaktoren weiter verschärft haben, hatte das BMWK die ÜNB am 17. Juli 2022 erneut beauftragt einen Stresstest zu berechnen. Zu diesen Unsicherheitsfaktoren für den kommenden Winter 2022/2023 zählen: die dramatische Dürre im Sommer, das Niedrigwasser in den Flüssen, der aktuelle Ausfall rund der Hälfte der französischen Atomkraftwerke und die seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine insgesamt angespannte Lage auf den Energiemärkten.

Das Ergebnis des zweiten Stresstests wurde am 5. September 2022 veröffentlicht.

Der zweite Stresstest untersucht verschiedene Szenarien. Die Analyse nimmt die Netzsituation in den Blick, und zwar insbesondere auch das Zusammenspiel mit den europäischen Nachbarländern, da die Situation Deutschlands durch seine geographische Lage und die Verbindungsleitungen zu elf europäischen Ländern besonders von der Entwicklung in Europa abhängt.

Die Analyse umfasst konkret drei kritische Szenarien (kritisches Szenario +, sehr kritisches Szenario ++ und Extremszenario +++), die deutlich von den Referenzszenarien aus den gesetzlich vorgeschriebenen Analysen zur Stromversorgungssicherheit von Ende April 2022 abweichen. Auch im Vergleich zum ersten Stresstest vom Mai 2022 wurden die Annahmen zur Kraftwerksverfügbarkeit und zu Brennstoffpreisen noch einmal deutlich verschärft und je nach Szenario hochskaliert. Damit liegen der Gesamtbewertung für die Stromversorgungssituation insgesamt fünf Szenarien zugrunde – von Basisszenario der gesetzlich vorgeschriebenen Bedarfsanalyse bis hin zum Extremszenario in diesem zweiten Stresstest.

Für die drei Szenarien des zweiten Stresstests wurden aus Vorsorgegründen mögliche Auswirkungen einer unterschiedlich kritischen Lage auf den Energiemärkten auf den Stromsektor in Deutschland und Europa untersucht, und zwar in mehreren Stufen. In der neuen Berechnung wurden u.a. folgende Annahmen zugrunde gelegt:

  • Ein großer Teil der französischen Atomkraftwerke kehrt nicht bis zum Winter an den Markt zurück. Im Extremszenario (+++) steht nur die Leistung von knapp zwei Drittel der französischen Atomkraftwerke zur Verfügung.
  • Nur ein Teil der möglichen Kraftwerke kehrt nach dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz an den Markt zurück - je nach Szenario in unterschiedlichem Ausmaß.
  • Das Niedrigwasser in den Flüssen schränkt Steinkohlelieferungen weiter ein. Die Steinkohlekraftwerke können also auch bei Verbrauchsspitzen deutlich weniger Strom produzieren, im Extremszenario am wenigsten.
  • Ein Viertel (+) bis die Hälfte (+++) der Kraftwerksleistung der Netzreserve ist nicht betriebsbereit.
  • Im kritischen Szenario ist ein Viertel der Gaskraftwerke in Süddeutschland nicht verfügbar, im Extremszenario sogar die Hälfte.
  • Die Stromnachfrage von Heizlüftern erhöht die Verbrauchsspitzen im Gigawatt-Bereich.
  • Der Gaspreis als Eingangsgröße der Berechnungen wurde in allen drei Szenarien einheitlich auf 300 EUR/MWh erhöht.

Grundsätzlich gilt: Wir haben in Deutschland eine sehr hohe Versorgungssicherheit im Stromsystem. Wir haben genug Energie in und für Deutschland; wir sind ein Stromexportland. Aber wir sind Teil eines europäischen Systems, und dieses Jahr ist in ganz Europa ein besonderes Jahr. Diese Besonderheiten im Zusammenspiel mit den möglichen europäischen Entwicklungen wurden unter die Lupe genommen.

Der zweite Stresstest zeigt im Ergebnis: Eine stundenweise krisenhafte Situation im Stromsystem im Winter 22/23 ist zwar sehr unwahrscheinlich, kann aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden. Damit es aber im kommenden Winter zu keinerlei Lastunterdeckungen oder Stromausfällen aufgrund von Netz-Stresssituationen kommt, sind zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Netzsicherheit nötig.

Konkret zeigen die Ergebnisse der Berechnungen, dass in einigen Regionen des europäischen Strommarktes in einigen Szenarien die Nachfrage ohne zusätzliche Maßnahmen nicht vollständig gedeckt werden kann. Im sehr kritischen Szenario (++) und dem Extremszenario (+++) treten solche Situationen für sehr kurze Zeiträume, das heißt einige wenige Stunden im Jahr, auch in Deutschland auf.

Im besonderen Fokus stand bei dem Stresstest vor allem die Frage, ob und in welchem Ausmaß es zu Engpässen im Stromnetz kommt. Ergebnis ist hier, dass es – bedingt durch den verzögerten Netzausbau und fehlende Erzeugungskapazitäten im Süden – in allen drei Szenarien Netzengpässe geben kann. Zur Behebung dieser Netzengpässe sind Kraftwerke aus dem Ausland (Redispatchkraftwerke) nötig, teilweise im deutlich größeren Umfang als bisher errechnet und eingeplant. Da die Versorgungslage in ganz Europa unter anderem in Folge von Dürre, Niedrigwasser und den Problemen bei französischen Atomkraftwerken angespannt ist, ist äußerst unsicher, ob diese Kraftwerksleistung bei den europäischen Partnern tatsächlich zur Verfügung stehen kann.

Daher kommt der zweite Stresstest zum Ergebnis, dass es aus Gründen der Vorsorge ein Bündel von Maßnahmen braucht, um Netzengpässe zu vermeiden. Dazu werden eine Reihe von Lösungsansätzen zur Entschärfung von kritischen Situationen empfohlen, die kombiniert werden sollten – eine Maßnahme allein reicht nicht. Wichtige Beiträge zur Netzsicherheit sind eine höhere Auslastung der bestehenden Netze durch eine Beschleunigung des geplanten witterungsabhängigen Freileitungsbetriebs, eine bessere Nutzung verschiedener Kraftwerke und Kraftwerksreserven sowie vertragliches Lastmanagement. Diese Maßnahmen sollten zwingend und dringend umgesetzt werden.

Für das sehr kritische Szenario ++ wurde in einer zusätzlichen Berechnung der mögliche Effekt einer Verfügbarkeit der drei Atomkraftwerke Emsland, Isar und Neckarwestheim im Stromnetz untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Wenn man die drei Atomkraftwerke verfügbar hält, kann dies in Stresssituationen im Stromnetz nur einen begrenzten Beitrag leisten. Zur Stabilisierung des Stromnetzes würden die drei AKW in einem sehr kritischen Szenario den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nicht um die Nennleistung der AKW senken, sondern nur um 0,5 GW. Es bleibt auch dann ein Redispatchbedarf im Ausland von 4,6 GW (im gerechneten Szenario ++ besteht ohne KKW ein Redispatchbedarf im Ausland von 5,1 GW). Redispatchkraftwerke sind Kraftwerke, die dem deutschen Markt kurzfristig Strom zum Ausgleich von Netzengpässen zur Verfügung stellen können. Es würde zudem - gemessen am Gesamtgasverbrauch - nur minimal Gas eingespart (Promillebereich). Insgesamt besitzt Atomenergie im Vergleich zu den anderen dringenden Maßnahmen eine untergeordnete Rolle, um in kritischen Situationen die Netzsicherheit zu gewährleisten. Es bleiben auch bei einer Nutzung der drei verbleibenden Kernkraftwerke deutliche Eingriffe in den Kraftwerkspark nötig, um die Netzsicherheit zu gewährleisten.

Der zweite Netzstresstest benennt in der Analyse die genannten Zahlen und Fakten und liefert zugleich aber auch Handlungsempfehlungen und Maßnahmen, die kurzfristig und kumulativ zu ergreifen sind, damit auch das sehr unwahrscheinliche Szenario einer Lastunterdeckung in Deutschland vermieden werden kann.

Die im Stresstest empfohlen Maßnahmen sind zum Teil bereits umgesetzt oder in Umsetzung, z.B. die Nutzung von Kraftwerksreserven und die Marktrückkehr von Kohlekraftwerken. Weitere Maßnahmen sind in der unmittelbaren Vorbereitung und werden mit einer dritten Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG 3.0) umgesetzt, u.a. die zusätzliche Stromproduktion in Biogasanlagen, Maßnahmen zur Höherauslastung der Stromnetze/Verbesserung der Transportkapazitäten.

Die Ergebnisse des Stresstests bedeuten aber auch, dass wir zur Absicherung für den Notfall für den Winter 22/23 eine neue zeitlich und inhaltlich begrenzte AKW-Einsatzreserve aus den beiden südlichen Atomkraftwerken Isar 2 und Neckarwestheim schaffen. Die beiden AKW Isar 2 und Neckarwestheim sollen bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um falls nötig, über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland 2022/23 leisten zu können. Das heißt auch: Alle drei derzeit in Deutschland noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke werden planmäßig Ende 2022 regulär vom Netz gehen. Am Atomausstieg, wie er im Atomgesetz geregelt ist, halten wir fest. Neue Brennelemente werden nicht geladen und Mitte April 2023 ist auch für die Reserve Schluss. Die Atomkraft ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie und die hochradioaktiven Abfälle belasten zig nachfolgende Generationen.

Eine pauschale Laufzeitverlängerung wäre daher auch im Hinblick auf den Sicherheitszustand der Atomkraftwerke nicht vertretbar. Mit der Einsatzreserve tragen wir den Risiken der Atom-Technologie und der Sondersituation im Winter 22/23 Rechnung. So können wir im Fall der Fälle agieren. Die AKW-Einsatzreserve ist eine zielgenaue Antwort.

Der mögliche Beitrag der Atomenergie ist nach den Berechnungen des zweiten Stresstests begrenzt.

Zur Stabilisierung des Stromnetzes würden die drei AKW in einem sehr kritischen Szenario den Bedarf an Redispatchkraftwerken im Ausland nicht um die Nennleistung der AKW senken, sondern nur um 0,5 GW. Es bleibt auch dann ein Redispatchbedarf im Ausland von 4,6 GW (im gerechneten Szenario ++ besteht ohne AKW ein Redispatchbedarf im Ausland von 5,1 GW). Redispatchkraftwerke sind Kraftwerke, die dem deutschen Markt kurzfristig Strom zum Ausgleich von Netzengpässen zur Verfügung stellen können. Es würde zudem - gemessen am Gesamtgasverbrauch - nur minimal Gas eingespart. Insgesamt besitzt Atomenergie im Vergleich zu den anderen dringenden Maßnahmen eine untergeordnete Rolle, um in kritischen Situationen die Netzsicherheit zu gewährleisten. Es bleiben auch bei einer Nutzung der drei verbleibenden Kernkraftwerke deutliche Eingriffe in den Kraftwerkspark nötig, um die Netzsicherheit zu gewährleisten.

Art. 20aGG verpflichtet den Staat in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu schützen. Die Risiken, die die Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung mit sich bringt und die Lasten, die durch Atommüll für künftige Generationen entstehen, sind daher nur dann vertretbar, wenn eine genaue Interessenabwägung erfolgt und der Grund für die Nutzung von Atomenergie genau dargelegt wird.

Daher spricht sich Minister Habeck für eine zielgenaue AKW-Einsatzreserve, die sowohl zeitlich als auch in ihrem Anwendungsbereich begrenzt ist. Die AKW-Einsatzreserve hat die Risiken der Atomenergie im Fokus und trägt der Sondersituation im Winter 2022/23 Rechnung und ist damit zeitlich begrenzt bis Mitte April 2023. Der Anwendungsbereich ist inhaltlich begrenzt auf die südlichen Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim. Nur für diesen Zeitraum und nur für die zwei süddeutschen AKWs ist ein eng konditionierter Notfalleinsatz der AKWs zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die Versorgungssicherheit erforderlich und damit im Rahmen der Verfassung eine noch vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers. Für den norddeutschen Raum sind hingegen andere, weniger risikoreiche Instrumente einsatzbar. So können hier kurzfristig zusätzliche Ölkraftwerke in Form von Kraftwerksschiffen, sogenannten „Power-Barges“, eingesetzt werden. Diese stehen für Isar 2 und Neckarwestheim hingegen nicht zur Verfügung.

Die AKW-Einsatzreserve aus Isar 2 und Neckarwestheim soll zudem bewusst als Reserve ausgestaltet und nur dann eingesetzt werden, wenn zu befürchten ist, dass die anderen Instrumente nicht ausreichen, um eine Versorgungskrise abzuwenden. Die Ausgestaltung der Einsatzreserve wird die notwendigen technischen Anforderungen der Atomkraft berücksichtigen. Eine Verlängerung über Mitte April 2023 hinaus oder eine Wiederbelebung im Winter 23/24 ist aufgrund des Sicherheitszustands der AKW und den grundsätzlichen Erwägungen zu den Risiken der Atomkraft ausgeschlossen.

Die Einsatzreserve soll im Energiesicherungsgesetz geregelt werden. Sie setzt zudem voraus, dass keine Abstriche von den üblichen Sicherheitsanforderungen gemacht werden. Entsprechend ist eine belastbare Prüfung des Sicherheitszustandes nötig.

Es ist zunächst richtig, dass im Stresstest eine Berechnung und Modellierung mit den drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerken Isar 2, Neckarwestheim und Emsland durchgeführt wurde. Dies diente dazu, ein vollständiges Bild zu erhalten.

Dennoch müssen bei der Ausgestaltung konkreter Maßnahmen die hohen Hürden des Art. 20a GG beachtet werden, da Atomkraft weiterhin eine Hochrisikotechnologie darstellt. Jede Maßnahme muss daher erforderlich, angemessen und verhältnismäßig sein. Das ist eine Maßnahme dann nicht, wenn andere, weniger risikoreiche Alternativen vorhanden sind. Mit Blick auf Isar 2 und Neckarwestheim stehen andere Alternativen wegen der besonderen Situation in Süddeutschland – weniger Erneuerbaren-Strom als im Norden, hohe Nachfrage angesichts der Industriezentren im Süden und vor allem in Bayern eine angespanntere Netzsituation als in anderen Teilen Deutschlands – nicht zur Verfügung.

Für das Emsland sind hingegen andere, weniger risikoreiche Instrumente einsatzbar. So stehen für den norddeutschen Raum kurzfristig zusätzliche Ölkraftwerke in Form von Kraftwerksschiffen – sogenannten „Power-Barges“ – zur Verfügung.

Die AKW-Einsatzreserve aus Isar 2 und Neckarwestheim soll bewusst als Reserve ausgestaltet werden und nur dann eingesetzt werden, wenn zu befürchten ist, dass die anderen Instrumente nicht ausreichen, um eine Versorgungskrise abzuwenden. Hierfür wird ein Monitoring etabliert (siehe Frage 8). Eine Verlängerung über Mitte April 2023 hinaus oder eine Wiederbelebung im Winter 23/24 ist aufgrund des Sicherheitszustands der AKW und den grundsätzlichen Erwägungen zu den Risiken der Atomkraft ausgeschlossen.

Die Einsatzreserve soll im Energiesicherungsgesetz geregelt werden. Sie setzt zudem voraus, dass keine Abstriche von den üblichen Sicherheitsanforderungen gemacht werden. Entsprechend ist eine belastbare Prüfung des Sicherheitszustandes nötig.

Um zu entscheiden, wann die Reserve abgerufen wird, wird ein Monitoring der BNetzA zur Bewertung der Strommarkt- und Netzsituation frühzeitig die Entwicklungen im Stromsystem (Kohlevorräte, Kraftwerkverfügbarkeiten, Gasverfügbarkeit etc.) aufzeigen. Auf diese Weise soll eine Analyse der stromseitigen Versorgungssicherheit anhand unterschiedlicher Indikatoren ermöglicht werden. Diese dient dann als Grundlage für die Entscheidung über eine mögliche Aktivierung der AKW-Einsatzreserve. Es werden u. a. die Parameter überwacht, die in den Stresstest-Szenarien kritische Markt- und Netzsituationen nach sich ziehen. Ziel sollte eine Bewertung der Gesamtsituation und eine frühzeitige Bewertung alternativer Maßnahmen sein.

Bei kritischen oder fragwürdigen Entwicklungen erfolgt unverzüglich eine vertiefte Analyse mit Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreibern. Nach Vorschlag des BMWK soll die Bundesnetzagentur die Empfehlung für den Abruf der Reserve im Fall der Fälle aussprechen; die Entscheidung soll dann über Regierungsverordnung mit Widerspruchsmöglichkeit des Bundestages erfolgen. Die Wiederanfahrgenehmigung erteilt die zuständige Atomaufsichtsbehörde.

Für das Vorhalten der Einsatzreserve fallen überschaubare Kosten für Personal und Technik an. Diese werden den Betreibern vom Staat erstattet. Im Rahmen der Entlastungspakete werden diese Kosten nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher belasten. Für Fall, dass ein Atomkraftwerk aus der Einsatzreserve abgerufen wird und Gewinne macht, gilt, dass Zufallsgewinne über den Markt abgeschöpft werden sollen. Das wird auch für Atomkraftwerke gelten.

Wenn alle drei Atomkraftwerke ihre Brennelemente komplett ausbrennen lassen würden, würde dadurch nur minimal weniger Strom in Gaskraftwerken erzeugt – nämlich in Deutschland 0,9 Terrawattstunden weniger, das entspricht etwa 1 Promille des deutschen Gasverbrauchs.

Die Strompreise sind durch die angespannte Lage auf dem Gasmarkt in den letzten Monaten extrem gestiegen – und das, obwohl die Atomkraftwerke derzeit noch laufen. Die Antwort auf die hohen Strompreise liegt also nicht im Betrieb von Atomkraftwerken, sondern in einer Strompreisbremse. Die Bundesregierung wird über eine solche Strompreisbremse die Preise dämpfen. Dazu ist folgendes bislang vereinbart: Zufallsgewinne der Energieunternehmen sollen abgeschöpft werden, so dass mit den Mitteln die Strompreise gesenkt werden können. Über beides wird Bundesminister Robert Habeck bereits am 9. September mit den europäischen Energieministerinnen und -ministern beraten und die Dinge schnell weiter ausbuchstabieren. Die Abschöpfung von Zufallsgewinnen ist nur gerecht: Denn Energieunternehmen, die zum Beispiel Erneuerbaren-, Kohle-, oder Atomstrom produzieren, tun dies zu gleichbleibend geringen Produktionskosten, verdienen aber nach den aktuellen Mechanismen des europäischen Strommarkts irrsinnig viel Geld damit. Dieses Geld soll für einen solidarischen Beitrag für das Gemeinwohl genutzt und in die Senkung der Strompreise und die Dämpfung der Netzentgelte investiert werden. Die Abschöpfung der Zufallsgewinne ermöglicht eine Strompreisbremse für die Haushalte. Das bedeutet konkret, das Verbraucherinnen und Verbrauchern für einen bestimmten Basisverbrauch einen stabilen Preis bezahlen. Die Haushalte werden so finanziell spürbar entlastet und gleichzeitig bleibt ein Anreiz zum Energiesparen erhalten. Auch für kleine und mittelständische Unternehmen wird es ein ähnliches Modell geben. Zudem sollen die Netzentgelte gedämpft werden.

Die Situation im Stromsystem in diesem Winter ist nicht mit der im Winter 2023/24 zu vergleichen. Für das nächste Jahr werden die Grundbedingungen andere sein, weil durch die längere Vorlaufzeit bereits beschlossene Maßnahmen stärker wirken und noch weitere umgesetzt werden können. Wir erhöhen die Gas-Importkapazität über schwimmende LNG-Terminals (FSRU) zum Winter 23/24 so stark, dass keine Gasmangellage an den Gaskraftwerken mehr zu befürchten ist. Wir steigern bis dahin die Verfügbarkeit von Strom aus Biogas-Anlagen und aus Erneuerbaren-Anlagen. Das Gleiche gilt für die Leistungsfähigkeit der Stromnetze, die Kraftwerkskapazitäten und flexible Lasten. Damit werden bis 2023/24 die Unsicherheitsfaktoren dieses Winters deutlich reduziert und die Versorgungslage verbessert.“

Konkret arbeitet das BMWK an einer Vielzahl an Maßnahmen, um das Stromsystem im Jahr 2023 weiter zu modernisieren und zukunftsfähiger zu machen. Die folgende Tabelle zeigt, was alles im Laufe der nächsten zwölf Monate geschehen wird:

Übersicht: Weitere Kapazitäten im Stromsystem 2023/24

4-6 Schwimmende LNG-TerminalsGas-Importkapazität ist so stark erhöht, dass keine Gasmangellage an den Gaskraftwerken mehr zu befürchten ist
Mehr Strom durch BiogasSchrittweise Erhöhung der Stromproduktion bei bis zu 2 GW Biogas-Anlagen ab sofort bis nächsten Winter
Mehr Windenergie- und Photovoltaik-AnlagenÜber 10 GW zusätzliche erneuerbare Stromerzeugungskapazität
Umrüstung von Gaskraftwerken auf alternative Brennstoffe (Fuel Switch)Fuel Switch-Potenzial bei bis zu 3 GW konventionellen Kraftwerken vorhanden
Höhere Verfügbarkeit von Kohlekraftwerken in Deutschland durch verbesserte Bevorratung und LogistikDie im „Stresstest“ angenommene Nichtverfügbarkeit von bis zu 8 GW kann drastisch reduziert werden
Höhere Verfügbarkeit von Gaskraftwerken in Süddeutschland durch zusätzliche Gasimporte und SpeichervorgabenDie im „Stresstest“ angenommene Nichtverfügbarkeit von bis 2,5 GW kann drastisch reduziert werden
Prüfung: Stufenweiser Aufbau zusätzlicher KrisenvorsorgeanlagenErgänzendes Instrument zu Kapazitäts- und Netzreserve mit mittelfristig (bis 2025) bis zu 5 GW
Ausweitung flexibler LastenErschließung weiterer flexibler Lasten zusätzlich zu erschlossenem Potenzial von 1,5 – 3 GW, unter anderem über Verträge zwischen Netzbetreibern und Lasten
Absenkung der WärmelastDie in den Stresstestszenarien angenommen Zusatzverbräuche durch Heizlüfter von bis zu 2,5 GW entfallen aufgrund der gesicherten Gasversorgung
Leistungsfähigere StromnetzeZusätzlich zu den 1 – 2 GW zusätzliche Transportkapazitäten im Winter 2022/23 werden u.a. die bereits im Bau befindlichen Phasenschieber zur Lastflusssteuerung einen weiteren signifikanten Beitrag zum Nord-Süd-Transport bereitstellen können. Darüber hinaus kommt des durch die Inbetriebnahme einer neuen Stromleitung zwischen Italien und Frankreich zu einer weiteren signifikanten Entspannung der europäischen Netzsituation in Stresssituationen für das Netz (1,6 GW zusätzliche Kapazität).

Die jeweiligen Handlungsfelder einzeln dargestellt:

Gasverfügbarkeit
Mit dem einer Aufbau einer LNG-Importkapazität stehen über die schwimmenden Flüssiggasterminals zum Winter 2023/2024 mindestens 25 Mrd. m3/Jahr an Kapazität aus staatlichen FSRUs bereit. Hinzu kommen dürften mindestens 4,5 Mrd. m3Jahr aus dem privaten Projekt in Lubmin. Zusammen kann damit allein aus den FSRU der bisherige Gas-Bedarf zu etwa einem Drittel gedeckt werden (Basisjahr 2021 – 90,5 Milliarden).

Mehr Erneuerbare Energien
In Summe werden ab Ende 2023 voraussichtlich mehr als 10 GW neue erneuerbare Erzeugungsleistung dem Stromsystem gegenüber Ende 2022 zur Verfügung stehen. Im Bereich Biogas werden befristet für die Jahre 2022 bis 2024 die Flexibilitätsanforderungen für Biogas-Bestandsanlagen aufgehoben. Von den knapp 6 GW Biogasanlagen in Deutschland sind derzeit rund 2 GW flexibilisiert, d.h. sie produzieren Strom nur zu wenigen Zeitpunkten des Jahres. In den nächsten Jahren können sie ihre Stromproduktion erhöhen. Es ist davon auszugehen, dass das Potenzial schrittweise erschlossen wird und der Beitrag aus Biogas für den Winter 2023/24 gegenüber dem Winter 2022/23 nochmals steigt.
Im Bereich der Photovoltaik wird für Januar 2023 eine Sonderausschreibung für große Freiflächenanlagen vorgesehen. Diese soll gezielt Anlagen im Umfang von 1,5 GW adressieren, die die mit einer kurzen Realisierungsfrist von 9 Monaten gebaut werden können. Dazu kommt der „normale Zubau“, den das EEG 2023 auf Hausdächern und in der Freifläche vorsieht. In Summe wird die PV-Leistung im Jahr 2023 um voraussichtlich 9 GW zunehmen.
Bei Wind an Land rechnen wir in 2023 mit einem Zubau von etwa 1,5 GW in der Größenordnung des Vorjahres. In den Folgejahren wirken dann die Beschleunigungsmaßnahmen der jüngst beschlossenen Gesetzesnovellen. Dadurch wird der Zubau zunehmen.

Konventionelle Kraftwerke
Durch Nachrüstung können einige konventionelle Kraftwerke auch mit einem anderen Brennstoff betrieben werden (sog. Fuel Switch). Dadurch können z.B. Gaskraftwerke neben Gas auch Öl verfeuern. In einigen Fällen ist dies bereits anlagenseitig möglich, erfordert jedoch bauliche Maßnahmen und zusätzliche Genehmigungen, um vorgelagerte Infrastruktur zur Ölversorgung zu schaffen. Das Potenzial, welches durch Fuel Switch schrittweise erschlossen werden kann, wird vorläufig auf bis zu 3 GW geschätzt. BMWK wird prüfen, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen Teil dieser Kapazität bis Ende 2023 zur Verfügung zu stellen.

Ersatzkraftwerke
Durch das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz können Kohle- und Mineralölanlagen längstens bis zum 31. März 2024 an den Strommarkt zurückkehren. Dies betrifft zunächst voraussichtlich 5,5 GW Anlagen aus der Netzreserve (Steinkohle und Mineralöl) befristet bis Mitte April 2023. Die Rückkehr an den Strommarkt kann bei Bedarf bis zum 31. März 2024 verlängert werden. Gleichzeitig wird die Rückkehr von bis zu 1,9 GW aus der Versorgungsreserve (Braunkohle) ab 1. Oktober 2022 vorbereitet. Durch eine geänderte Beschaffungs- und Bevorratungsstrategie sowie eine verbesserte Straßen- und Schienenlogistik sind im Vergleich zu den Stresstestszenarien bis zu 8 GW Kraftwerkskapazität zusätzlich verfügbar.

Krisenvorsorgeanlagen
Das BMWK wird prüfen, ob zeitnah neue Reserveanlagen (im Rahmen bestehender Regelungen oder als neues Instrument) beschafft und damit die Versorgungssicherheit verbessert werden kann. Dies könnte als Krisenvorsorge außerhalb des Marktes konzipiert und als Ergänzung zur Kapazitäts- und Netzreserve eingesetzt werden. Die Krisenvorsorgeanlagen sollten schrittweise aufgebaut werden und könnten mittelfristig bis 2025 einen Umfang von bis zu 5 GW annehmen.

Ausweitung flexibler Lasten
Bereits in diesem Winter ist aufgrund der hohen Energiepreise damit zu rechnen, dass sich flexible Lasten marktgetrieben deutlich ausweiten. Bis zum Winter 2023/24 ist damit zu rechnen, dass Nachfragemanagement (DSM) deutlich an Bedeutung gewinnt, und daher noch höhere flexible Lasten-Potenziale in der Industrie erschlossen werden. Die Bundesnetzagentur prüft gemeinsam mit den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) als eine weitere Maßnahme, inwieweit zur Unterstützung des Netzbetriebs vertragliche Vereinbarungen zwischen den ÜNB und industriellen Verbrauchern genutzt werden können.

Leistungsfähigere Stromnetze
Die Leistungsfähigkeit des Übertragungsnetzes wird im Jahr 2023 weiter nennenswert erhöht. So werden voraussichtlich etwa 350 km neue Leitungsabschnitte im Drehstromnetz in Betrieb genommen. Vor allem aber werden neue gesetzliche Möglichkeiten zur Erleichterung und Optimierung des Netzbetriebs genutzt und Phasenschieber zur Lastflusssteuerung in Betrieb genommen, um die Transportfähigkeit des Stromnetzes auch nach Süddeutschland zu erhöhen und damit auch den Bedarf an Reservekraftwerken zu senken.
Auf europäischer Ebene werden weitere Maßnahmen umgesetzt.

Die Atomkraft ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie. Sie bringt zudem das Problem der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll mit sich – ein Endlager gibt es in Deutschland nach wie vor nicht. Deutschland hat sich daher für den Ausstieg entscheiden und hält daran angesichts der Gefahren aus der Atomkraft fest. Etliche Atomkraftwerke werden bereits zurückgebaut; die Energiekonzerne haben sich auf den Ausstieg eingestellt und richten ihre Zukunft auf Erneuerbare Energien aus. Ein Wiedereinstieg in die Atomkraft ist daher aus mehreren Gründen ausgeschlossen: Es würde eine Hochrisikotechnologie, die große Gefahren birgt, verlängern, die Problematik der Endlagerung verschärfen und wäre abgesehen davon extrem teuer. Für Klimaschutz und Umwelt ist saubere Energieversorgung aus Erneuerbaren Energien die beste Antwort. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird mit hoher Geschwindigkeit weiter vorangetrieben – auch als Antwort auf die aktuelle Energiekrise.