In ihrer „Agenda 2030“ haben die Vereinten Nationen vielfältige Ziele in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung definiert, denen sich auch die Bundesregierung verschrieben hat. Das Gutachten des Beirats beschäftigt sich mit der Frage, in welcher Weise das Kartellrecht zur Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen verwendet werden kann. Das Gutachten zeigt auf, dass das deutsche und europäische Kartellrecht schon heute vielfältige Möglichkeiten bietet, um Nachhaltigkeitsaspekte in der Anwendung durch Behörden und Gerichte zu berücksichtigen. Eine darüber hinaus gehende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten lehnt der Beirat ab. Die Fokussierung des Kartellrechts auf den Schutz des Wettbewerbs als konstitutives Element einer freiheitlichen gesellschaftlichen Ordnung hat sich bewährt.

Der Wettbewerb ist die Grundlage für eine funktionsfähige sozial-ökologische Marktwirtschaft. Das Kartellrecht als „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“ hat seinen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet, in dem es den Blick der Kartellbehörden auf die wettbewerblichen Auswirkungen von Verhaltensweisen gelenkt hat, die dem Wettbewerb schaden. Der Federführende für das Gutachten, Prof. Dr. Stefan Bechtold (ETH Zürich), bestätigt das: Oftmals gibt es keinen Zielkonflikt zwischen Wettbewerb und Nachhaltigkeit. Der Wettbewerb schafft Anreize zur Innovation, die in wirtschaftlichen Transformationsprozessen von zentraler Bedeutung sind. Und der Wettbewerb generiert Signale zu den Präferenzen von Verbraucherinnen und Verbrauchern für nachhaltige Produkte. Wenn Unternehmen daher ihre Produktions- und Einkaufspolitik an Nachhaltigkeitszielen ausrichten, verändert sich auch das Angebot von Produkten im Markt. Nachhaltigkeit kann dann zum Wettbewerbsparameter werden.

Jedoch gibt es auch Fälle, in denen der Schutz des Wettbewerbs und der Schutz von Nachhaltigkeitszielen auseinanderfallen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Unternehmenskooperationen, die den Ausstoß von CO₂ reduzieren, gleichzeitig zu höheren Preisen für Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Aus Sicht des Beirats bietet jedoch das deutsche und europäische Kartellrecht schon heute vielfältige Möglichkeiten, um Nachhaltigkeitszielen in solchen Fällen gerecht zu werden. Bei der Kontrolle von Unternehmensvereinbarungen erlaubt das europäische Kartellrecht in begrenztem Umfang, Vorteile solcher Vereinbarungen zu berücksichtigen, die bei anderen Personen anfallen als den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die durch die Vereinbarung höhere Preise bezahlen müssen.

Der Beirat lehnt Überlegungen ab, den Kartellbehörden und Gerichten weitere Möglichkeiten zu geben, Nachhaltigkeitsaspekte in ihrer kartellrechtlichen Fallpraxis zu berücksichtigen. Der Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, Prof. Dr. Eckhard Janeba (Universität Mannheim), führt dazu aus: Dies könnte die Aufgabenverteilung zwischen Politik und Markt verändern, weil dann Abwägungsentscheidungen, die von der Politik getroffen werden müssen, Unternehmen im Markt überlassen werden. Die Abwägung zwischen Nachhaltigkeitszielen und der Wohlfahrt von Verbraucherinnen und Verbrauchern ist eine genuin politische Aufgabe, die nicht Kartellbehörden übertragen werden sollte. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Politisierung des Kartellrechts und einer Verwischung der Grenzen zwischen Kartellrecht und Regulierungsrecht.

Der Beirat betont, dass dadurch Nachhaltigkeitsziele nicht hinter dem Schutz des Wettbewerbs zurückstehen müssen. Der Gesetzgeber kann Instrumente wie Mindeststandards, Steuern, Subventionen, das allgemeine Wirtschaftsordnungsrecht, das Umweltrecht oder das Arbeitsrecht zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen nutzen und damit wichtige Anliegen gegenüber marktmächtigen und sonstigen Unternehmen durchsetzen. Auch kann der Gesetzgeber aus Gründen der Nachhaltigkeit in bestimmten Wirtschaftsbereichen Wettbewerbsbeschränkungen zulassen.