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Reformen und Investitionen für nachhaltiges Wachstum
Deutschland geht die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der EU an. Auch der deutsche Aufbau- und Resilienzplan trägt maßgeblich zur Umsetzung bei
Einleitung
Im Rahmen der wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitischen Koordinierung auf EU-Ebene, dem sogenannten „Europäischen Semester“, richtet der Rat der Europäischen Union regelmäßig Handlungsempfehlungen an die einzelnen Mitgliedstaaten. Der Semesterprozess wurde im Jahr 2010 als Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise eingeführt. Er soll zu Konvergenz und Stabilität in der EU beitragen und die Umsetzung notwendiger Reformen in den Mitgliedstaaten fördern. Bei den länderspezifischen Empfehlungen handelt es sich daher um wirtschafts- und finanzpolitische Reformvorschläge, die die jeweiligen nationalen strukturellen Herausforderungen adressieren.
Deutschland soll mehr investieren, insbesondere in den digitalen und ökonomischen Wandel.
Europäisches Kriseninstrument richtet Blick auf länderspezifische Herausforderungen
Den länderspezifischen Empfehlungen kommt aktuell eine besondere Rolle zu. Um Mittel aus der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität zu erhalten, die als temporäres Instrument zur Überwindung der Corona-Krise geschaffen wurde, müssen Mitgliedstaaten besondere Pläne vorlegen. Diese sogenannten nationalen Aufbau- und Resilienzpläne bilden kohärente Pakete aus Investitionen und Strukturreformen. Neben einem starken Fokus auf den grünen und digitalen Wandel sollen die Pläne auch ausdrücklich die im Kontext des Europäischen Semesters ermittelten weiteren Herausforderungen adressieren (Artikel: „Europäische Finanzhilfen für den Weg aus der Krise“ www.bmwi.de/finanzhilfenfinanzhilfen). Bei der Bewertung der vorgelegten Pläne prüft die Europäische Kommission insbesondere, ob die enthaltenen Maßnahmen zur Bewältigung aller oder eines wesentlichen Teils der Herausforderungen beitragen, die die länderspezifischen Empfehlungen an den jeweiligen Mitgliedstaat benennen. Im Fokus stehen maßgeblich die Empfehlungen aus den Jahren 2019 und 2020.
In Kürze Im Wesentlichen geht es um die Empfehlungen an die Länder aus den Jahren 2019 und 2020.
Für Deutschland fordern diese eine gesteigerte Investitionstätigkeit, besonders in den ökologischen und digitalen Wandel. Ferner sollen Arbeitsanreize für Gering- und Zweitverdiener ausgebaut, das Lohnwachstum gestärkt sowie die finanzielle Tragfähigkeit des Rentensystems geschützt werden. Bei Unternehmensdienstleistungen und reglementierten Berufen soll der Wettbewerb erhöht werden. Deutschland wird zudem aufgefordert, die Verwaltung zu digitalisieren, Bürokratie für Unternehmen abzubauen sowie die Resilienz des Gesundheitssystems und die wirtschaftliche Erholung zu fördern (Kasten).
Die Empfehlungen an Deutschland betreffen auch: Arbeitsmarkt, Rente, Gesundheit, Bildung, Innovationen und Steuern
LÄNDERSPEZIFISCHE EMPFEHLUNGEN DES RATES DER EUROPÄISCHEN UNION FÜR DEUTSCHLAND 2019/20 UND 2020/21
Der Rat der Europäischen Union empfiehlt, dass Deutschland 2019 und 2020 Maßnahmen ergreift, um
1. unter Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels die Haushaltsund Strukturpolitik zu nutzen, um bei den privaten und öffentlichen Investitionen vor allem auf regionaler und kommunaler Ebene einen anhaltenden Aufwärtstrend herbeizuführen; den Schwerpunkt seiner investitionsbezogenen Wirtschaftspolitik unter Berücksichtigung regionaler Unterschiede auf Bildung, Forschung und Innovation, Digitalisierung und Breitbandnetze mit sehr hoher Kapazität, nachhaltigen Verkehr sowie auf Energienetze und bezahlbaren Wohnraum zu legen; die Besteuerung von der Arbeit auf Quellen zu verlagern, die einem inklusiven und nachhaltigen Wachstum weniger abträglich sind; bei Unternehmensdienstleistungen und reglementierten Berufen den Wettbewerb zu verstärken;
2. die Fehlanreize, die einer Aufstockung der Arbeitszeit entgegenwirken, darunter auch die hohe Steuer- und Abgabenbelastung, insbesondere für Gering- und Zweitverdiener zu reduzieren; Maßnahmen einzuleiten, um die langfristige Tragfähigkeit des Rentensystems zu sichern, und dabei gleichzeitig ein angemessenes Rentenniveau aufrechtzuerhalten; die Voraussetzungen für die Förderung eines höheren Lohnwachstums zu stärken und dabei gleichzeitig die Rolle der Sozialpartner zu achten; die Bildungsergebnisse und das Kompetenzniveau benachteiligter Gruppen zu verbessern.
Der Rat der Europäischen Union empfiehlt, dass Deutschland 2020 und 2021
1. im Einklang mit der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitätsund Wachstumspakts alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die COVID-19-Pandemie wirksam zu bekämpfen, die Wirtschaft zu stützen und die darauffolgende Erholung zu fördern; sobald die wirtschaftlichen Bedingungen es zulassen, eine Haushaltspolitik verfolgt, die darauf abzielt, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und die Schuldentragfähigkeit zu gewährleisten, und gleichzeitig die Investitionen erhöht; ausreichende Mittel mobilisiert und die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems, unter anderem durch den Einsatz elektronischer Gesundheitsdienste, stärkt;
2. durchführungsreife öffentliche Investitionsprojekte vorzieht und private Investitionen unterstützt, um die wirtschaftliche Erholung zu fördern; schwerpunktmäßig in den ökologischen und digitalen Wandel investiert, insbesondere in nachhaltigen Verkehr, saubere, effiziente und integrierte Energiesysteme, digitale Infrastruktur und Kompetenzen, Wohnungsbau, Bildung sowie Forschung und Innovation; die digitalen Verwaltungsleistungen auf allen Ebenen verbessert und die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen fördert; den Verwaltungs- und Bürokratieaufwand für Unternehmen verringert.
Deutscher Aufbau- und Resilienzplan wird positiv bewertet
Die Bundesregierung hat den Deutschen Aufbauund Resilienzplan am 28. April 2021 offiziell bei der Europäischen Kommission eingereicht. Er enthält insgesamt zehn Komponenten, die sich auf sechs Themengebiete verteilen (Abbildung 2 sowie Artikel „Der Deutsche Aufbau- und Resilienzplan“,www.bmwi.de/resilienzplan (PDF, 652 KB)).
25,6 Mrd. Euro wird Deutschland voraussichtlich erhalten.
Deutschland wird voraussichtlich etwa 25,6 Mrd. Euro (in laufenden Preisen) an Mitteln erhalten. Das entspricht über den Auszahlungszeitraum 2021 – 2026 pro Jahr etwa 0,12 % des Bruttoinlandsprodukts bzw. 0,28 % der öffentlichen Ausgaben in 2019.
42,4 % der Mittel des deutschen Plans sollen in den ökologischen Wandel fließen. Damit liegen die deutschen Reform- und Investitionsvorhaben in diesem Bereich über der dafür vorgegebenen Mindestquote von 37 %. Die Vorgaben für Maßnahmen für den digitalen Wandel werden sogar deutlich übererfüllt: Hier ist der Anteil von 52,6 % mehr als doppelt so hoch wie die geforderten 20 %.
Durch die geplanten Investitionen adressiert der Plan bereits direkt einige der an Deutschland gerichteten länderspezifischen Empfehlungen. Darüber hinaus umfasst er verschiedene strukturpolitische Reformen, die ebenfalls auf die entsprechenden Empfehlungen zielen und mit den geplanten Investitionen in Verbindung stehen. So enthält der Plan strukturelle Maßnahmen für mehr Investitionen und zum Bürokratieabbau. Besonders hervorzuheben ist eine Initiative mit der Partnerschaft Deutschland (PD – Berater der öffentlichen Hand), die Hindernisse beim Abfluss öffentlicher Mittel systematisch erfassen und konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten soll.
In Kürze Deutschland adressiert mit seinem Aufbauund Resilienzplan laut EU-Kommission einen wesentlichen Teil der relevanten Empfehlungen.
Weitere Maßnahmen gehen Empfehlungen in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung, Forschung und Innovation an, dämpfen den Anstieg der Steuer- und Abgabenlast und verbessern das Kinderbetreuungsangebot. Zwar spricht der Plan nicht jeden Unterpunkt der Empfehlungen 2019 und 2020 gleichermaßen an, jede Komponente reflektiert aber mindestens drei Teilempfehlungen und mindestens eine in signifikanter Weise (Abbildung 2, Seite 32). In ihrer Bewertung vom 22. Juni 2021 kommt die Europäische Kommission somit zu dem Schluss, dass der deutsche Aufbau- und Resilienzplan einen wesentlichen Teil der relevanten länderspezifischen Empfehlungen adressiert und somit neben den anderen Vorgaben auch diese Anforderung erfüllt. Der Rat der Europäischen Union bestätigte die positive Bewertung des deutschen Plans und billigte diesen am 13. Juli 2021.
Deutschland erzielt zunehmend Fortschritte bei der Umsetzung
Die Reformen im Deutschen Aufbau- und Resilienzplan müssen auch im Kontext weiterer nationaler Anstrengungen betrachtet werden. Im Nationalen Reformprogramm berichtet die Bundesregierung jährlich umfassend über die Maßnahmen von Bund und Ländern, die im Hinblick auf die länderspezifischen Empfehlungen ergriffen werden (Artikel „Nationales Reformenprogramm 2021“, www.bmwi.de/reformprogramm-2021 (PDF, 559 KB)).
Die öffentlichen Investitionen in Deutschland sind seit 2014 deutlich gestiegen.
Der Bericht stellt damit ein zentrales Element im Europäischen Semester dar. Auf dieser Basis bewertet die Europäische Kommission regelmäßig den Umsetzungsstand der Empfehlungen in den einzelnen Mitgliedstaaten. In den Vorkrisenjahren hatte die Kommission Deutschland begrenzte Fortschritte attestiert. Allerdings hat sich das Umsetzungsniveau der jährlichen Empfehlungen seit 2018 im Vergleich zum Zeitraum 2014 – 2017 verbessert und liegt seitdem etwa im Durchschnitt aller Mitgliedstaaten. Der Umsetzungsstand der zum Teil krisenbezogenen Empfehlungen aus dem Jahr 2020 lag bereits vor Einreichung der Aufbau- und Resilienzpläne sowie der Nationalen Reformenprogramme über die Mitgliedstaaten hinweg höher als in Vorjahren; in Deutschland fällt der Fortschritt sogar leicht überdurchschnittlich aus. Trotz der positiven Bewertung der Reformen im Aufbau- und Resilienzplan sieht die Europäische Kommission fürDeutschland weiteren Handlungsbedarf. Dieser betrifft die Besteuerung von Arbeitseinkommen und Arbeitsanreizen von Zweitverdienern, die finanzielle Tragfähigkeit des Rentensystems unter Wahrung eines angemessenen Rentenniveaus sowie den Wettbewerb bei Unternehmensdienstleistungen und regulierten Berufen.
Insgesamt hat Deutschland in den vergangenen Jahren viele Aspekte der europäischen Empfehlungen adressiert. Dies trifft insbesondere auf die Forderung von höheren öffentlichen Investitionen zu. So haben die gesamtstaatlichen Investitionsausgaben in den letzten Jahren deutlich angezogen (Abbildung 1). Wichtige Investitionsbereiche des Bundes sind die digitale Infrastruktur (u. a. Sondervermögen „digitale Infrastruktur“), Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 (u. a. Bahninfrastruktur, Ladesäulen für Elektromobilität), die soziale Wohnraumförderung sowie der Verkehr. Die staatlichen Investitionen regen zugleich private Investitionen an, die wiederum durch weitere Maßnahmen wie Förderprogramme oder steuerliche Instrumente auch direkt gefördert werden.
Darüber hinaus wurden steuerliche Belastungen abgebaut, Anreize zur höheren Erwerbsbeteiligung von Gering- und Zweitverdienern gesetzt und soziale Teilhabe in den Blick genommen. Beispielsweise hat die Bundesregierung das Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag angepasst. Der Solidaritätszuschlag wurde teilweise abgeschafft und der Übergangsbereich bei Sozialversicherungsbeiträgen ausgeweitet. Die im Zuge der Krise ausgesprochene Sozialgarantie hat die Beiträge zur Sozialversicherung bei maximal 40 % stabilisiert. Verbesserte Weiterbildungsangebote und ein Ausbau der frühkindlichen Betreuung dürften ebenfalls Arbeitsanreize erhöhen. Die Grundrente gewährt bei unterdurchschnittlichen Verdiensten einen Zuschlag.
Mit Blick auf Empfehlungen zu mehr Wettbewerb im Dienstleistungsbereich ermöglicht das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts von Anwälten und Steuerberatern neue gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheiten und erleichtert die interprofessionelle Zusammenarbeit.
Ausblick
In diesem Jahr wurden die Verfahren des Europäischen Semesters temporär verändert, um der Erstellung und Diskussion der nationalen Aufbauund Resilienzpläne ausreichend Raum zu lassen. Erstmals seit 2011 gab es keine neuen strukturpolitischen länderspezifischen Empfehlungen. Die Europäische Kommission betont jedoch, dass die bisherigen Empfehlungen fortbestehen. Die Bundesregierung setzt sich grundsätzlich dafür ein, möglichst bald zu den bewährten Prozessen des Europäischen Semesters zurückzukehren. Entsprechend dürften auch in den kommenden Jahren bekannte und möglicherweise neue strukturelle Reformempfehlungen an Deutschland gerichtet werden.
KONTAKT
DR. ALEXANDRA EFFENBERGER
Referat: Europäische Wirtschafts- und Währungsfragen
ALEXANDER SCHENK
Referat: Aspekte der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, Europäische Investitionsbank, Mehrjähriger Finanzrahmen, Bund-Länder