Illustration zum Artikel "Digital Markets Act"

Digitale Geschäftsmodelle erbringen wertvolle Dienstleistungen und tragen zu Innovationen und Wohlfahrt im europäischen Binnenmarkt bei. Für viele Nutzerinnen und Nutzer ist eine Welt ohne digitale Dienste kaum mehr vorstellbar: Tagtäglich wird über Messenger-Apps kommuniziert, Vermittlungsplattformen für Waren und Dienstleistungen haben Eingang in den Alltag gefunden, Fragen werden eher online recherchiert als in Büchern nachgeschlagen. Für die Wettbewerbspolitik bringen diese digitalen Geschäftsmodelle besondere Herausforderungen mit sich. Rat, Europäisches Parlament und EU-Kommission haben sich im März 2022 politisch auf eine neue Verordnung zur Regulierung von Gatekeepern mit großer Macht auf digitalen Märkten verständigt – das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA), das nun zügig vom Rat und vom Europäischen Parlament gebilligt und dann umgesetzt werden soll.

Wenige Anbieter dominieren den Markt

Digitale Geschäftsmodelle verändern wegen ihrer besonderen Eigenschaften und disruptiven Kräfte nicht nur unseren Alltag, sondern auch Märkte und wirtschaftliche Machtverhältnisse. Dies bringt – neben den vielen Vorteilen der digitalen Transformation – auch Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich.

So konnten in den letzten Jahren einige wenige Big-Tech-Unternehmen ihre Marktmacht so weit ausbauen, dass ein wirtschaftlicher Wettbewerb um Kundinnen und Kunden sowie Marktanteile immer seltener stattfindet. Markteintritte neuer innovativer Unternehmen werden zunehmend seltener. Stattdessen ziehen die großen Spieler aufgrund von sogenannten direkten und indirekten Netzwerkeffekten immer mehr Nutzerinnen und Nutzer an und wachsen stetig weiter.

Dies gilt gerade auf sogenannten mehrseitigen Märkten, bei denen Anbieter verschiedene Gruppen von Nachfragern zusammenbringen. Einige wenige Unternehmen erlangen auf diese Weise eine starke Intermediationsmacht. Das bedeutet: Sowohl gewerbliche als auch private Nutzer sind aufgrund der Schlüsselfunktion der Unternehmen auf diese angewiesen. Diese Unternehmen haben eine besondere Machtposition: Wie eine Art Torwächter können sie einseitig den Zugang zu ihren digitalen Diensten kontrollieren und die Regeln bestimmen. Sie werden damit zum Regelsetzer auf digitalen Märkten – eine Rolle, die eigentlich dem Gesetzgeber zusteht.


In Kürze: Wenige Anbieter dominieren den Markt und haben eine besondere Machtposition. Der Digital Markets Act soll hier für mehr Wettbewerb sorgen.

Nachdem der deutsche Gesetzgeber bereits 2021 mit dem GWB-Digitalisierungsgesetz auf die wettbewerbspolitischen Herausforderungen durch digitale Geschäftsmodelle reagiert hat, zieht der europäische Gesetzgeber nun mit einer Gesetzesinitiative nach.

Definitionssache

Direkte Netzwerkeffekte
Der Nutzen eines Angebots für Nachfrager einer Gruppe nimmt deswegen zu, weil andere Nachfrager ebenfalls das betreffende Angebot nutzen. Zum Beispiel setzen Nutzerinnen und Nutzer dasselbe Betriebssystem ein und können sich untereinander austauschen und helfen (positive direkte Netzwerkeffekte).

Indirekte Netzwerkeffekte
Der Nutzen des Angebots hängt für mindestens eine Nutzergruppe von der Anwesenheit und Größe der anderen Nutzergruppe auf der anderen Marktseite ab. Zum Beispiel steigt die Auswahl an Software, wenn viele Personen dasselbe Betriebssystem nutzen, weil es für Softwareentwickler attraktiver wird, für dieses Betriebssystem Software zu programmieren.

Intermediationsmacht
Ein als Vermittler auftretendes Unternehmen kann aufgrund seiner Schlüsselfunktion auf das Angebot und die Nachfrage eines bestimmten Marktes Einfluss nehmen. Das gilt zum Beispiel für Suchmaschinen, große Handelsplattformen, Preisvergleichsplattformen und Buchungsportale.

Interoperabilität
Dienste unterschiedlicher Hersteller können untereinander verlässlich kommunizieren – zum Beispiel WhatsApp mit einem anderen Messengerdienst.

Mehrseitige Märkte
Das Angebot wird an zwei oder mehrere verschiedene Gruppen von Nachfragern gerichtet. Diese verschiedenen Gruppen kommen auf dem Markt zusammen – zum Beispiel werbefinanzierte Medien (Werbende und Konsumenten, die zugleich die Medien nutzen) oder e-Commerce-Plattformen (Händler und Konsumenten).

GWB-Digitalisierungsgesetz: „Geburtsstunde der sozialen digitalen Marktwirtschaft“

In Deutschland ist bereits im Januar 2021 das sogenannte GWB-Digitalisierungsgesetz in Kraft getreten. Im Bundestag wurde dies als die „Geburtsstunde der sozialen digitalen Marktwirtschaft“ bezeichnet. Herzstück der Reform war die Schaffung einer neuartigen Kategorie von Normadressaten: „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung“, denen besondere Verhaltenspflichten auferlegt werden können. Damit wurde, auch international, erstmals der Versuch unternommen, eine Antwort auf die wettbewerbspolitischen Herausforderungen digitaler Märkte zu geben. Gleichzeitig hat die Bundesregierung die EU-Kommission aufgefordert, eine Lösung für den gesamten Binnenmarkt zu entwickeln.

Digital Markets Act: Europäischer Rechtsrahmen für die Big Tech

Mit dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) ist der europäische Gesetzgeber dieser Forderung im März 2022 nachgekommen. Innerhalb einer Rekordzeit von nur 15 Monaten haben sich Rat, Europäisches Parlament und EU- Kommission auf ein weltweit einzigartiges Regelwerk geeinigt. Der DMA ist international das erste Regelwerk, das einen speziellen Rechtsrahmen für Big-Tech-Unternehmen setzt, um so Fairness und Wettbewerb auf digitalen Märkten sicherzustellen.

Der DMA ist eine sogenannte asymmetrische Regulierung: Die Regeln gelten nicht für alle Anbieter digitaler Dienste, sondern nur für die sogenannten Gatekeeper und ihre zentralen Plattformdienste, soweit diese vom Anwendungsbereich des DMA erfasst sind.


Auszug der Dos and Don'ts ür Gatekeeper

Zukünftig sind Gatekeeper unter anderem verpflichtet:

• die Interoperabilität ihrer Messengerdienste zu gewährleisten. Sie müssen diese Dienste zukünftig für Wettbewerber öffnen, so dass Nachrichten dienstübergreifend ausgetauscht werden können. In zwei Jahren müssen auch Gruppenchats interoperabel sein. Eine Ausweitung der Verpflichtung auf soziale Netzwerke wird geprüft. Auch Hardware und Software werden zukünftig interoperabler werden

• gewerblichen Nutzern einen diskriminierungsfreien Zugang zu ihren App-Stores, Suchmaschinen und sozialen Netzwerken zu gewähren

• gewerblichen Nutzern und Endnutzern Echtzeit-Datenzugriffe auf ihre Aktivitätsdaten zu gewähren (Datenportabilität)

• Werbetreibenden Informationen zur Verfügung zu stellen, damit diese eine eigene, unabhängige Überprüfung der Werbeleistungen auf den Gatekeeper-Plattformen vornehmen können

• es ihren gewerblichen Nutzern zu erlauben, Kontakt zu ihren Kunden auch außerhalb der Gatekeeper-Plattform aufzunehmen, unter anderem um Verträge abzuschließen

Darüber hinaus ist es Gatekeepern künftig unter anderem untersagt:

• ohne explizites Einverständnis über mehrere Plattformdienste gesammelte personenbezogene Daten von Endnutzern zusammenzuführen. Auch in personalisierte Werbung muss explizit eingewilligt werden.

• eigene Produkte und/oder Dienstleistungen bevorzugt zu behandeln („Self-Preferencing“)

• die Nutzung eines zentralen Plattformdienstes von der Nutzung eines anderen zentralen Plattformdienstes abhängig zu machen („Bundling“)

• Nutzer daran zu hindern, eine vom Gatekeeper vorinstallierte Software und Apps zu deinstallieren oder auf plattformfremde Dienste zuzugreifen

• gewerbliche Nutzer zu verpflichten, Identifikationsdienste oder Bezahldienste des Gatekeepers zu benutzen

DMA richtet sich an Gatekeeper mit besonderer Marktmacht

Welche Unternehmen als Gatekeeper vom Anwendungsbereich erfasst sind, wird in der Verordnung nicht explizit geregelt. Vielmehr bestimmt sich der Adressatenkreis anhand objektiver Kriterien. Diese sind unabhängig vom Herkunftsland des Unternehmens.

Entscheidend ist, dass das Unternehmen einen erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt und eine wichtige Vermittlerrolle zwischen geschäftlichen und privaten Nutzern hat sowie mit seinen Leistungen eine gefestigte und dauerhafte Stellung einnimmt oder in naher Zukunft voraussichtlich einnehmen wird.


In Kürze: Big-Tech-Unternehmen werden besondere Verhaltensregeln auferlegt. Welche Unternehmen dazugehören, bestimmen verschiedene objektive Kriterien.

Der Verordnungsentwurf nennt quantitative Schwellenwerte, bei deren Vorliegen die Erfüllung der drei genannten Kriterien vermutet wird. Sie umfassen die Größe der Nutzerbasis in der EU, den Umsatz und die Marktkapitalisierung des Unternehmens. Alternativ können Unternehmen aber auch im Wege einer Einzelfallbetrachtung als Gatekeeper bestimmt werden. Klar ist, dass zum Beispiel Apple, Amazon, Alphabet, Meta und Microsoft diese Voraussetzungen erfüllen. Darüber hinaus könnten aber auch andere Unternehmen wie zum Beispiel Booking oder TikTok in den Anwendungsbereich fallen.


Der EU-Rechtsrahmen für Tech-Riesen sichert Fairness und Wettbewerb.

Unternehmen müssen Verhaltensregeln einhalten

Die betroffenen Unternehmen müssen für bestimmte Plattformdienste, wie etwa Suchmaschinen, soziale Netzwerke oder Online-Vermittlungsdienste, eine Liste von rund zwanzig konkreten Dos and Don’ts umsetzen. Diese Verhaltenspflichten bilden das Herzstück der Verordnung. Die Gatekeeper müssen alle Verhaltenspflichten unmittelbar umsetzen.

Drei Beispiele:

  1. Die Gatekeeper werden zur Interoperabilität ihrer Messengerdienste verpflichtet. Das heißt, sie müssen es ermöglichen, dass Nachrichten dienstübergreifend (zum Beispiel zwischen WhatsApp und Facebook Messenger) ausgetauscht werden können. Für Nutzerinnen und Nutzer besteht somit künftig kein Anreiz mehr, ihre Messengerdienste danach auszuwählen, wo die meisten Freunde und Bekannten sind. Vielmehr können sie ihren Messengerdienst verstärkt nach qualitativen Merkmalen, wie zum Beispiel einem hohen Datenschutzniveau und innovativen Neuerungen, auswählen. Kleine Anbieter und Nutzerinnen und Nutzer können weiterhin frei entscheiden, ob sie die Interoperabilitätsfunktion anbieten oder nutzen wollen. Eine Verpflichtung besteht lediglich für die Dienste der großen Gatekeeper, wie zum Beispiel WhatsApp.
  2. Nutzerinnen und Nutzer haben zukünftig mehr Wahlfreiheit, welche Dienste sie auf ihren Geräten zulassen wollen. Gatekeeper können sie nicht mehr daran hindern, vorab installierte Software oder Apps zu deinstallieren, wenn sie dies wünschen. Änderungen gibt es auch mit Blick auf die sogenannte Standardanwendung. Künftig wird es bei der Einrichtung des Geräts einen Auswahlbildschirm geben.
  3. Aufgrund des Selbstbevorzugungsverbots dürfen Gatekeeper ihre eigenen Produkte künftig nicht mehr begünstigen. Gleiches gilt auch für das Verbot sogenannter enger Bestpreisklauseln, die nunmehr europaweit untersagt sind. Gatekeeper können somit zukünftig zum Beispiel Hotels nicht länger daran hindern, ihre Dienstleistungen günstiger auf eigenen Webseiten anzubieten als beim Gatekeeper. Vom Selbstbevorzugungsverbot dürften gerade kleine und mittlere Unternehmen profitieren.

Umsetzung bleibt Herausforderung

Die Regelungsweise über Verhaltenspflichten ist im Wettbewerbsbereich ein Novum. Denn das klassische Wettbewerbsrecht sieht im Kern abstrakte Prinzipien vor, die durch behördliche Entscheidung aktiviert werden müssen. Doch auch die Durchsetzung des DMA wird aufwendig. Es muss überwacht werden, dass jeder einzelne Gatekeeper alle Verhaltenspflichten zu jeder Zeit einhält. Hierbei handelt es sich teilweise um komplexe technische Sachverhalte.

Ein Augenmerk der Bundesregierung lag daher in den Verhandlungen darauf, eine effektive und effiziente Durchsetzung sicherzustellen. Diese wird im Grundsatz durch die EU-Kommission als „sole enforcer“ erfolgen. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen bei der Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung, richtig.

Auf Initiative der Bundesregierung sieht der DMA zudem vor, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden, wie zum Beispiel das Bundeskartellamt, die EU-Kommission bei ihren Untersuchungen unterstützen können. So können zusätzliche Kapazitäten und Expertise in die Durchsetzung des DMA eingebracht werden.


Der Bundesregierung geht es um eine effektive Durchsetzung der Verhaltensregeln.

Zudem können die Verhaltenspflichten durch Betroffene im Wege der privaten Rechtsdurchsetzung vor den nationalen Gerichten eingeklagt werden. Auch dies erhöht den Druck auf die betroffenen Unternehmen, die Regeln rechtzeitig umzusetzen. Kommt ein Gatekeeper dem nicht nach, drohen Geldbußen von bis zu 10 % seines weltweiten Gesamtumsatzes. Im Wiederholungsfall kann sie sogar bis zu 20 % seines weltweiten Gesamtumsatzes betragen. In Sonderfällen, wenn ein Gatekeeper systematisch (mindestens drei Mal in acht Jahren) gegen Verhaltenspflichten verstößt, können zudem verhaltensbezogene oder strukturelle Abhilfemaßnahmen verhängt werden.

DMA wird voraussichtlich noch 2022 in Kraft treten

Bis dies möglich ist, wird jedoch noch ein wenig Zeit vergehen: Die im März 2022 erzielte politische Einigung muss noch vom Rat und vom Europäischen Parlament gebilligt werden. Die Verordnung könnte danach im Herbst 2022 in Kraft treten. Wirkung werden die Verhaltenspflichten dann nach Ablauf der Umsetzungsfristen voraussichtlich ab 2024 entfalten.


MEHR ZUM THEMA
Mehr zur GWB-Novelle:
www.bmwk.de/schlaglichter-digitaler-wettbewerb.de


KONTAKT
DR. SOPHIE GAPPA
Referat: Grundsatzfragen der Wettbewerbspolitik, Kartellrecht, wettbewerbsrechtliche Fragen der Digitalisierung

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