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Der Industriesektor hat in den G7-Verhandlungen einen wichtigen Stellenwert eingenommen: Er ist global für etwa ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich (IEA, 2021). Das sind 9 Gigatonnen CO2, von denen 4,7 Gigatonnen CO2 nur aus Stahl- und Zementproduktion (IEA, 2022) stammen. Zum Vergleich: Der Anteil des Flugverkehrs am globalen CO2-Ausstoß liegt bei rund drei Prozent. Auch in Deutschland machen die Emissionen des Industriesektors rund ein Viertel der CO2-Emissionen aus. Für die Erreichung der Ziele des Übereinkommens von Paris ist es daher unabdingbar, die Industrie zu „dekarbonisieren“. Dies bietet zeitgleich die Chance, neue Technologien und Produkte als Vorreiter auf einen sich wandelnden weltweiten Markt zu bringen.

2022 hat Deutschland die G7-Präsidentschaft inne.

Global ist die besonders CO2-intensive Schwerindustrie (wie Stahl, Zement, Grundstoffchemie) stark in Schwellen- und Entwicklungsländern, allen voran China, konzentriert. Die G7-Saaten verbrauchen im Allgemeinen mehr Fertigwaren aus diesen Materialien als sie selbst produzieren. Dennoch spielt die G7 sowohl im Hinblick auf die Wirtschaftsleistung und den damit verbundenen CO2-Ausstoß als auch als politisches Format eine wichtige Rolle, um Impulse für die industrielle Transformation zu setzen.

G7 2022 hat Deutschland die G7-Präsidentschaft inne. Neben Deutschland gehören den G7 auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA an. Zudem nehmen EU-Vertreter an den Sitzungen teil. Aktuelle, weltweit einschneidende Ereignisse wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Kampf gegen den Klimawandel oder die Corona-Pandemie werden im Rahmen der G7 diskutiert. Dies unterstreicht die Bedeutung der G7 als Kooperationsformat und Wertepartnerschaft.

Bei den G7-Staaten selbst sind Emissionsminderungsziele politisch verankert und Maßnahmen dafür vorgesehen oder in Planung. So ist die G7 gut positioniert, bei der Entwicklung und Einführung „grüner“ und ressourceneffizienter Produkte und der dafür notwendigen Technologien eine Vorreiterrolle einzunehmen. Als bedeutendes Industrie- und Exportland hat Deutschland außerdem ein besonderes Interesse, den globalen Wandel hin zu CO2-freien Industrieprodukten mitzugestalten.

Herausforderungen der Dekarbonisierung

Die G7 treibt deshalb unter deutscher Präsidentschaft 2022 ihre „Industrial Decarbonisation Agenda“ weiter voran. Die Agenda wurde 2021 vom Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen und setzt das Ziel, gemeinsam die Industrien in der G7 und darüber hinaus nachhaltig zu verändern.

In Kürze Die G7 treibt ihre „Industrial Decarbonisation Agenda“ weiter voran.

„Dekarbonisieren“ bedeutet, Produktionsverfahren und Grundprodukte so zu verändern, dass wenig oder gar kein Kohlenstoff umgesetzt beziehungsweise nicht in die Atmosphäre freigesetzt wird. In vielen Sektoren sind dafür grundlegende Umstellungen der Prozesse notwendig. Primärstahl wird beispielsweise bisher sehr kohlenstoffintensiv in Hochöfen mit Eisenerzreduktion unter Einsatz von Kokskohle hergestellt. Dieser Prozess müsste umgestellt werden. Die derzeit vielversprechendste Lösung scheint der Einsatz von Wasserstoff zu sein (Wasserstoffdirektreduktion), der mit erneuerbarer Energie hergestellt werden muss. Stahl kann auch aus Stahlschrott hergestellt werden (Sekundärstahl); dies geschieht mit Hilfe von Strom, der zunehmend ebenfalls aus erneuerbaren Quellen kommen muss. Derartige Umstellungen erfordern, je nach Verfahren, häufig den Umbau ganzer Industriestandorte. Die dafür benötigten Technologien sind für die meisten Branchen weitestgehend bekannt und größtenteils verfügbar, können heute aber oftmals (noch) nicht wettbewerbsfähig eingesetzt werden.

Bedingungen für den Umbau

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Gerade das Jahr der deutschen G7­Präsidentschaft ist ein entscheidendes für den Umbau: Anlagen in der Schwerindustrie haben lange Investitionszyklen von rund 25 Jahren und Lebenszyklen von 30 bis 40 Jahren. Gerade jetzt sind diese Zyklen an einem Wechselpunkt, mit starkem Erneuerungsbedarf im globalen Anlagenpark. Die Perspektive für die industrielle Transformation muss also genau jetzt klar umrissen werden, um Anreize für Investitionen in kohlenstoffarme Produktionsanlagen zu bieten.

25 Jahre betragen die Investitionszyklen von Anlagen in der Schwerindustrie im Durchschnitt.

Da zum Beispiel Stahl weltweit gehandelt wird, müssen Marktmechanismen, die eine Veränderung hin zu anderen Produktionsverfahren begünstigen, global gestaltet werden. Bei rein nationalen oder regionalen regulatorischen Vorgehen droht die Gefahr, dass die neuen Produktionsverfahren auf dem Markt nicht wettbewerbsfähig sind und Industrien in weniger regulierte Regionen abwandern („Carbon Leakage“).

Klimaclub Die G7-Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfeltreffen im Juni vereinbart, bis Ende des Jahres einen „Klimaclub“ (https://t1p.de/klimaclub) zu gründen. Er soll die Umsetzung des Übereinkommens von Paris unterstützen, durch eine Beschleunigung von Klimaschutzmaßnahmen und ambitioniertere Zielsetzung. Dabei legt er einen Schwerpunkt auf die Industrie, wobei bestehende Risiken im Hinblick auf die Verlagerung von CO2-Emissionen emissionsintensiver Güter angegangen werden sollen. Der Klimaclub soll auf drei Säulen beruhen: Maßnahmen und Ergebnisse zur Emissionsmessung und Emissionsberichterstattung stärken, gemeinsame Schritte zur Dekarbonisierung der Industrie, Verstärkung internationaler Partnerschaften. Für die zweite Säule sind auch die Fortschritte der „Industrial Decarbonisation Agenda“ von Bedeutung. Der Klimaclub soll als zwischenstaatliches Forum etabliert werden.

Ein Markt für „grünen“ Stahl oder Zement existiert noch nicht. Die Umstellung der Produktionsprozesse kostet zugleich enorme Summen, die nicht einfach auf den Kunden umgelegt werden können, da der Preisunterschied zu konventionellen Produkten zu hoch wäre. Die großen Produktions­ und Handelsmengen erfordern zudem den Verkauf über nationale Grenzen hinaus. Nur durch eine kritische Masse, das heißt eine gewisse Anzahl an Ländern und Produzenten, die beispielsweise mit „Grünstahl“ handeln wollen, und durch förderliche Rahmenbedingungen können neue Märkte für diese Produkte entstehen.

IEA-Bericht Der Bericht der Internationalen Energieagentur „Achieving Net Zero Heavy Industries in G7 Members“ (https://t1p.de/iea) beinhaltet Empfehlungen, wie für emissionsarme Stahl- und Zementproduktion die Technologieentwicklung beschleunigt und Wettbewerbsfähigkeit in Bezug auf die noch zu hohen Kosten erreicht werden können. Er richtet sich vor allem an Politik und Industrie. Basis der Berechnungen und Empfehlungen im Bericht ist das Szenario der IEANet Zero by 2050: A Roadmap for the Global Energy Sector“ von 2021. Der IEA-Bericht nennt folgende Schwellenwerte: für Stahl 50 bis 400 kg CO2-Äquivalent pro Tonne (kgCO2e/t) und für Zement 40 bis 125 kg CO2e/t. Der Bericht empfiehlt, sich international auf feste, absolute und ambitionierte Schwellenwerte für die Produktion zu einigen („adopt stable, absolute and ambitious thresholds“). Die vorgeschlagene Methodik berücksichtigt den Einsatz von Stahlschrott in der Produktion ebenso wie eine fließende Skala für die Anerkennung von noch nicht nahezu emissionsfreier Produktion als emissionsarme Produktion („low emissions production“ im Vergleich zu „near zero emissions production“). Der Bericht enthält auch eine „Toolbox“ mit Maßnahmen, die unter anderem langfristige Transformationsziele, Demonstrationsprojekte, gezielte Finanzierung (Push-Faktoren) und Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference), öffentliche Ausschreibungsregularien oder Quoten (Pull-Faktoren) empfiehlt.

Grundlagen für grüne Märkte

Nötig dafür ist aber ein gemeinsames Verständnis davon, was mit „grün“ überhaupt gemeint ist. Diese Definition fehlt bisher auch auf internationalem Terrain. Im Kontext der „Industrial Decarbonisation Agenda“ wird von „grün“ als „nahezu emissionsfreie Produktion“ gesprochen, weil nach heutigem Stand unvermeidbare Restemissionen verbleiben werden. Auf dem G7­Treffen der Klima­, Energie­ und Umweltministerinnen und ­minister im Mai wurden Fortschritte gemacht, sowohl im Hinblick auf Definitionen und Emissionsschwellenwerte für eine nahezu CO2­freie Stahl­ und Zementproduktion als auch im Hinblick auf empfohlene Politikinstrumente für die Unterstützung dieser Industrietransformation (https://t1p.de/annex).

Im Rahmen seiner G7­Präsidentschaft hatte Deutschland einen Bericht bei der Internationalen Energieagentur (IEA) in Auftrag gegeben (https://t1p.de/iea). Die IEA schlägt darin einen methodischen Ansatz und konkrete Schwellenwerte vor, die gemeinsam mit den G7 und weiteren Ländern, Industrieverbänden, aber auch mit Thinktanks und der Wissenschaft diskutiert wurden. Die Anerkennung des vorgeschlagenen Ansatzes „als robuster Startpunkt“, so das Kommuniqué der G7­Minister (https://t1p.de/communique), ist die erste internationale politische Einigung, die solche Definitionen und Werte würdigt – und damit den Startpunkt für weitere Präzisierungen schafft.

Große Schwellenländer sollen Definitionen für eine nahezu emissionsfreie Stahl- und Zementproduktion finden.
Infografik Bandbreiten der Emissionsintensität der Stahlproduktion Bild vergrößern

Bisherige Gespräche mit Partnern und internationalen Industrieinitiativen zeigen, dass der Ansatz des IEA­Berichts große Aufmerksamkeit erfährt und als wertvoller Anknüpfungspunkt genutzt wird, auch über die G7 hinaus. Perspektivisch kann damit ein Orientierungspunkt für die Erarbeitung von Label­Kategorien für eine nahezu emissionsfreie Stahl­ und Zementproduktion geschaffen werden. Dies würde den Handel mit dekarbonisierten Gütern wesentlich erleichtern.

Infografik Bandbreiten der Emissionsintensität der Zementproduktion Bild vergrößern

Die Liste der empfohlenen Politikinstrumente ist grundsätzlich unverbindlich, bietet aber einen fundierten Überblick, welche Optionen – von relativ einfach bis sehr kostenintensiv – Regierungen haben, um die Transformation der Industrie zu fördern. Da die G7­Staaten und weitere wichtige Produktionsländer in sehr unterschiedlichen politischen Systemen und Strukturen agieren, schafft ein gemeinsam anerkanntes Instrumentarium neue Verständigungschancen. Deutschland und die EU nutzen schon eine Vielzahl von Maßnahmen wie CO2­Bepreisung oder Innovations- und Investitionsförderung. Außerdem sollen Klimaschutzverträge und Ökodesign­Richtlinien auf Grundstoffe ausgeweitet werden.

Die G7 setzt starke Signale für mehr Klimaschutz.
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Internationale Zusammenarbeit über die G7 hinaus

Der Gipfel der Staats­ und Regierungschefs der G7 (https://t1p.de/G7­communique) vom 26. bis 28. Juni in Elmau hat den hohen Stellenwert eines gemeinsamen industriepolitischen Verständnisses bestätigt. Um ganze Industriezweige zu transformieren, sieht die G7 den Bedarf intensivierter Abstimmung, wozu sie bis Ende des Jahres einen „Klimaclub“ gründen will. Mitgliedschaften, Bedingungen und Funktionsweise sind nun zu klären. Sicher ist aber, dass die im Rahmen der „Industrial Decarbonisation Agenda“ erarbeiteten Ergebnisse für Stahl und Zement für die Zusammenarbeit im Industriesektor eine Rolle spielen werden.

Basierend auf den Einigungen der „Industrial Decarbonisation Agenda“ wird die G7 nun versuchen, einige der großen Schwellenländer dafür zu gewinnen, Definitionen für eine nahezu emissionsfreie Stahl­ und Zementproduktion festzulegen. Denn die Definitionen können die globale Industrietransformation nur fördern, wenn die wichtigsten Akteure – Produzenten wie Abnehmer – die – selben Definitionen verwenden. Die Möglichkeiten dafür bestehen anlässlich einiger weiterer großer Konferenzen, die einen Fokus auf die Dekarbonisierung der Industrie legen: etwa das hochrangige „Global Clean Energy Action Forum“ in Pittsburgh, USA, (http://www.gceaf.org) vom 21. bis 23. September und die internationale Klimakonferenz COP 27 vom 7. bis 18. November 2022 in Scharm asch­Schaich (Ägypten).

In Kürze Die G7 hat sich auf ein gemeinsames Verständnis für die Definition einer fast emissionsfreien Produktion von Stahl und Zement geeinigt.

Auf die deutsche G7­Präsidentschaft folgt 2023 der japanische Vorsitz. Derzeit findet ein Austausch statt, ob und wie die „Industrial Decarbonisation Agenda“ von Japan weiterentwickelt werden kann, beispielsweise mit Blick auf weitere Industriesektoren oder eine vertiefte Ausarbeitung der Definitionen. Das Format erweist sich damit auf internationalem Parkett bisher als stabil und wertvoll.


KONTAKT
CLAUDIA BERNARDING, MICHAEL BÜCHL, STELA IVANOVA
Referat: Marktrahmen zur Dekarbonisierung der Industrie, internationale Kooperation

schlaglichter@bmwk.bund.de