IN KÜRZE:

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte im zweiten Quartal 2022 leicht um 0,1 % zu. Es hat damit erstmals das Niveau vor der Corona-Krise wieder erreicht.

Die Bruttowertschöpfung im Produzierenden Gewerbe (ohne Bau) war gegenüber dem Vorquartal rückläufig (-0,4 %). Energieintensive Branchen liefen besonders schwach.

Getragen wurde das Wirtschaftswachstum im zweiten Vierteljahr vor allem vom privaten und staatlichen Konsum.

Trotz des Krieges in der Ukraine ist die Wirtschaft insgesamt im ersten Halbjahr solide gewachsen.

Das Statistische Bundesamt hat am 25. August 2022 detaillierte Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal 2022 veröffentlicht. Demnach nahm das preis-, kalender- und saisonbereinigte BIP mit einer Veränderungsrate von 0,1 % gegenüber dem Vorquartal leicht zu. Die deutsche Wirtschaft hat sich angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine im ersten Halbjahr als durchaus widerstandsfähig erwiesen und erstmals das Niveau vor der Corona-Krise vom vierten Quartal 2019 wieder erreicht. Im ersten Quartal war das deutsche BIP um 0,8 % gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Insgesamt steht im ersten Halbjahr also trotz der wirtschaftlichen Widrigkeiten ein solides Wachstum.

Diese Entwicklung wurde vor allem von den privaten und den staatlichen Konsumausgaben getragen. Die deutsche Volkswirtschaft profitierte von der Aufhebung fast aller Corona-Beschränkungen. Die Menschen nutzten die Lockerungen, um beispielsweise wieder mehr zu reisen und auszugehen. Demgegenüber stehen die hohen Preisniveausteigerungen, die ihren Ursprung vor allem in den stark gestiegenen Energiepreisen haben. Der Energiepreisschock kommt nun mehr und mehr in der Breite der Bevölkerung an.

In der Frühjahrsprojektion vom 27. April 2022 hatte die Bundesregierung mit einem BIP-Wachstum von 2,2 % im Gesamtjahr 2022 gerechnet. Die nun erfolgte Veröffentlichung der Daten zum Bruttoinlandsprodukt bestätigt, dass das erste Halbjahr sogar besser verlaufen ist als in der Frühjahrsprojektion angenommen. Allerdings hat sich der Ausblick für das zweite Halbjahr vor dem Hintergrund der Reduzierung russischer Gaslieferungen und massiv gestiegener Energiepreise deutlich verschlechtert. In der zweiten Jahreshälfte könnte die deutsche Wirtschaftsleistung stagnieren oder rückläufig sein. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft dürfte, auf das Jahr gesehen, dementsprechend schwächer ausfallen als in der Frühjahrsprojektion erwartet. Die Bundesregierung legt am 12. Oktober mit der Herbstprojektion ihre nächste Vorausschätzung vor.

Eckwerte der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland Bild vergrößern

INDUSTRIEPRODUKTION UND BAU RÜCKLÄUFIG, VIELE DIENSTLEISTUNGSBEREICHE IM PLUS

Insgesamt war die Bruttowertschöpfung im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorquartal rückläufig (-0,3 %). In den einzelnen Bereichen kam es zu einer unterschiedlichen Entwicklung: Im Verarbeitenden Gewerbe war die Wertschöpfung merklich im Minus (-0,5 %). Insbesondere die energieintensiven Branchen wie die chemische Industrie und der Bereich Metallerzeugung und -verarbeitung entwickelten sich schwach. Auch die Bruttowertschöpfung im Baugewerbe sank im Vergleich mit dem ungewöhnlich milden Winterquartal kräftig um 2,4 %.

Die meisten Dienstleistungsbereiche profitierten hingegen von den Lockerungen der Corona-Beschränkungen, allen voran Unternehmen im Bereich von Gastronomie, Unterhaltung und Erholung. Nur im Handel sowie im Bereich Öffentliche Dienstleister, Erziehung und Gesundheit sank die Wirtschaftsleistung gegenüber dem ersten Quartal. Insbesondere im Handel zeigte sich die eingetrübte Konsumstimmung angesichts der hohen Inflationsraten.

Wachstum des Bruttoinlandsproduktes Bild vergrößern

KONSUM WIRKT STÜTZEND – AUSSENHANDEL SCHWÄCHELT

Dass das BIP im zweiten Quartal 2022 zulegen konnte, ist vor allem dem starken privaten und staatlichen Konsum zu verdanken. Sie expandierten kräftig um 0,8 beziehungsweise 2,3 %. Auch die Ausrüstungsinvestitionen – dies sind vor allem Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge – lagen mit plus 1,1 % merklich im Plus. Hier überwog offensichtlich der Investitionsbedarf die negativen Anreize aus gestiegener wirtschaftlicher Unsicherheit und Zinssteigerungen. Die Bauinvestitionen hingegen, die im ersten Quartal von der milden Witterung profitiert hatten, entwickelten sich mit minus 3,4 % rückläufig.

Zwar ist Deutschland als Exportnation überproportional von den Sanktionen gegen Russland betroffen, dennoch waren die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen mit plus 0,3 % gegenüber dem Vorquartal stabil. Die Importe wuchsen mit plus 1,6 % merklich kräftiger. Hierzu trugen maßgeblich die Dienstleistungsimporte bei, die infolge vermehrter Reisetätigkeit zulegten.

ARBEITSMARKT STABIL, FLUCHTMIGRATION ERHÖHT ARBEITSLOSIGKEIT

Im Durchschnitt waren im zweiten Quartal rund 45,5 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Damit stieg die Erwerbstätigkeit gegenüber dem Vorjahr kräftig um 664.000 Personen. Am Quartalsende erhöhte sich die registrierte Arbeitslosigkeit saisonbereinigt erstmals in diesem Jahr. Dieser Anstieg ist aber nicht konjunkturell bedingt, sondern ganz überwiegend darauf zurückzuführen, dass ukrainische Geflüchtete seit Juni in der Grundsicherung erfasst werden. Im Quartalsschnitt schlägt sich ihre Zahl noch nicht nennenswert nieder: Die registrierte Arbeitslosigkeit betrug im zweiten Quartal durchschnittlich rund 2,3 Millionen Personen. Dies entspricht einem Rückgang der Arbeitslosenquote auf rund 5,0 %. Auch die Kurzarbeit ging weiter zurück.

Das Arbeitsvolumen, als Summe der geleisteten Arbeitsstunden aller Erwerbstätigen, welches die Kurzarbeit berücksichtigt, legte im zweiten Quartal um 1,0 % gegenüber dem Vorjahresquartal zu. Dass dieser Anstieg geringer ausfällt als im ersten Quartal, liegt vor allem am höheren Krankenstand und mehr genommenen Urlaubstagen. Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität – gemessen als preisbereinigtes BIP je Erwerbstätigenstunde – nahm gegenüber dem Vorjahresquartal um 0,7 % zu.

Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte lag im Vergleich zum Vorjahresquartal um 6,4 % höher. Die Arbeitnehmerentgelte wuchsen dabei deutlich um 5,6 %, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen mit 3,0 % im Minus lagen. Der Zuwachs bei den Löhnen und Gehältern betrug im Durchschnitt je Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer brutto 4,3 % beziehungsweise netto 4,1 %. Die privaten Konsumausgaben nahmen in nominaler (nicht preisbereinigter) Rechnung um 14,3 % gegenüber dem Vorjahr zu. Hier wirkten sich sowohl Ausgabensteigerungen in Folge des Wegfalls der Corona-Beschränkungen als auch der starke Anstieg der Verbraucherpreise aus. Die saisonal bereinigte Sparquote der privaten Haushalte sank auf 10,1 % und liegt damit auf Vorkrisenniveau: In Hochzeiten der Pandemie war sie wegen fehlender Konsummöglichkeiten auf Rekordwerte von über 20 % geklettert.