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OECD-Generalsekretär Mathias Cormann hat am 8. Mai 2023 den neuen Wirtschaftsbericht für Deutschland an Bundesminister Robert Habeck übergeben. Bundesumweltministerin Steffi Lemke nahm den Umweltprüfbericht der OECD in Empfang. Erstmals wurden beide Berichte gemeinsam vorgestellt.

Die länderspezifischen OECD-Wirtschaftsberichte erscheinen im Turnus von etwa zwei Jahren und gehören zu den OECD-Leuchtturmpublikationen. Sie sind das Ergebnis einer Überprüfung bzw. Beobachtung, der sich alle Mitgliedsländer immer wieder stellen. Das OECD-Sekretariat analysiert dazu die wirtschaftliche Entwicklung und die Wirtschaftspolitik. Sie spricht mit Ministerien, Forschungsinstituten und Verbänden und erstellt dann einen Berichtsentwurf, der von den Mitgliedsländern diskutiert und schließlich gebilligt wird. Vorrangiges Ziel der Überprüfung ist es, voneinander zu lernen und sich gegenseitig, als Staaten bzw. Gesellschaften, dabei zu helfen, den Wohlstand nachhaltig zu steigern.

Neben einer Einschätzung der allgemeinen Wirtschaftslage und einer Projektion der weiteren Entwicklung erhalten die untersuchten Länder eine kritische Bewertung der jeweiligen Wirtschaftspolitik sowie – darauf aufbauend – wirtschaftspolitische Empfehlungen. In einem Schwerpunktkapitel konzentriert sich die OECD auf ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Handlungsfeld, in der aktuellen Ausgabe zu Deutschland auf die Klimaschutzpolitik.

Plädoyer für Strukturreformen und mehr Zukunftsinvestitionen

Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Herausforderungen der letzten Monate bescheinigt die OECD der deutschen Politik ein gutes Krisenmanagement und prognostiziert für das laufende Jahr eine leichte Zunahme des BIP (+0,3 Prozent) sowie für 2024 eine Wachstumsrate von 1,3 Prozent. Gelobt werden die schnellen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen während der Pandemie und der Energiekrise. Soweit trotz fehlender Mikrodaten erkennbar, hätten die umfassenden Entlastungspakete für Unternehmen und Haushalte erfolgreich zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft beigetragen. Perspektivisch sei es jedoch wichtig, staatliche Unterstützungsmaßnahmen zielgerichteter zu gewähren, wozu insbesondere auch eine Verbesserung der Datenlage gehören müsse.

Zur Sicherung des Wohlstands in Deutschland hält die OECD umfassende Strukturreformen und die Beschleunigung der ökologischen Transformation (Dekarbonisierung) für unumgänglich. Der Handlungsbedarf habe sich durch die Energiekrise infolge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erhöht.

Konkret fordert die OECD die politisch Verantwortlichen dazu auf, den fiskalischen Spielraum für öffentliche Investitionen durch höhere Steuereinnahmen und den Abbau von klimaschädlichen Subventionen zu vergrößern. Dazu könnten nach Ansicht der OECD u. a. ein verbesserter Steuervollzug und effizientere öffentliche Ausgaben maßgeblich beitragen. Beim Steuervollzug kritisiert die OECD das Fehlen von Daten. Es gebe keine verlässlichen Schätzungen zum Ausmaß der Steuervermeidung in den Bundesländern. Ursächlich dafür seien Datenschutzbestimmungen und Digitalisierungsrückstände. Gleichzeitig hätten die für den Steuervollzug zuständigen Bundesländer aufgrund des Länderfinanzausgleichs (geringe Nettosteuerzuflüsse) wenig Anreize, die Besteuerung auch tatsächlich durchzusetzen. Daher empfiehlt die OECD striktere Vorgaben für den Steuervollzug der Länder von Seiten des Bundes und eine effizientere Koordination zwischen Bundes- und Landesbehörden.

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Bundesumweltministerin Steffi Lemke, OECD-Generalsekretär Mathias Cormann und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

Bedarf für Strukturreformen erkennt die OECD darüber hinaus auf dem Arbeitsmarkt bzw. bei der Erwerbsbeteiligung. Um das Arbeitskräfteangebot im demographischen Wandel zu sichern, empfiehlt sie Maßnahmen zur weiteren Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen, älteren und geringer qualifizierten Personen. Dazu zählt nicht zuletzt eine Verlagerung der Steuer- und Abgabenlast weg vom Faktor Arbeit und hin zu anderen Steuergegenständen wie Kapitaleinkommen, Immobilien oder Erbschaften. Der Zuzug ausländischer Fachkräfte solle zudem erleichtert werden. Die Anreize für einen frühen Renteneintritt sollten gesenkt und die Arbeitsbedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammen mit den Unternehmen verbessert werden. Notwendig sei auch ein besserer Zugang zu Erwachsenenbildung.

Unter dem Stichwort Modernisierung des Staates sieht die OECD v. a. Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Als wichtigen Grund für den im internationalen Vergleich bestehenden Rückstand (s. Abbildung 1) nennt die OECD eine ineffiziente Bund-Länder-Koordination, die durch die Vorgabe verbindlicher Standards für die Gestaltung und Verknüpfung von Daten und IT-Tools für alle Verwaltungsebenen verbessert werden sollte. Die Harmonisierung von Verwaltungsverfahren und die gemeinsame Entwicklung von Anwendungen sollten gefördert werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssten dahingehend geändert werden, dass der Aufbau von Registern und Datenbanken erleichtert und deren Verknüpfung ermöglicht werde. Eine stärkere Zentralisierung und umfassendere E-Procurement-Plattformen könnten die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen transparenter und kosteneffizienter gestalten.

ABBILDUNG 1: DIGITALISIERUNG DER ÖFFENTLICHEN VERWALTUNG IM OECD-VERGLEICH Bild vergrößern
Anmerkung: Für Australien, Mexiko, Polen, die Schweiz, die Slowakische Republik, Türkei, Ungarn und die Vereinigten Staaten liegen keine Daten vor. Der Digital-Government-Index der OECD beruht auf den sechs Aspekten des Politikrahmens der OECD für die Digitalisierung der Verwaltung (OECD Digital Government Policy Framework – DGPF): Digital-by-Design, datenbasierter öffentlicher Sektor, Staat als Plattform, Open-by-Default, Nutzerorientierung und Proaktivität. Er misst die Fähigkeit des öffentlichen Sektors, eine kohärente digitale Transformation der Verwaltung herbeizuführen, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht, sowie die strategischen Ansätze, Politikinstrumente, Umsetzungs- und Monitoring-Mechanismen, mit denen die Strategie zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung umgesetzt wird. Daher erfasst er viel mehr als lediglich die Digitalisierung analoger Prozesse.

Klimaneutralität bis 2045 nur mit höherem Tempo bei der Energiewende

Um die Dekarbonisierung voranzubringen, müssten langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzt und klimaschädliche Subventionen und großzügige Steuerbefreiungen abgeschafft werden. Die OECD begrüßt die Bepreisung von CO2 als Eckpfeiler der deutschen Klimaschutzstrategie, fordert aber, die Preise sektorübergreifend zu harmonisieren und durch Mindestpreise planbarer zu machen. Zudem sollte der CO2-Preis um gut konzipierte sektorale Regelungen und Subventionen ergänzt werden. Dies gelte vor allem für Bereiche mit Marktversagen, z. B. im Bereich der Gebäudesanierung, insbes. bei großen und heterogenen Eigentümergemeinschaften oder aufgrund unterschiedlicher Anreize für Mieter und Vermieter. Subventionen für ausgereifte Technologien sollten schrittweise abgebaut und durch zielgenauere Maßnahmen ersetzt werden, z. B. Förderung von „grüner“ Forschung und Entwicklung, Ausbau der Verkehrs- und Stromnetzinfrastruktur, Dekarbonisierung des Wohnungssektors.

Das Aufkommen aus der Bepreisung von CO2-Emissionen sollte zur Entschädigung einkommensschwacher Haushalte, zur Verbesserung der Qualität aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen oder zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen verwendet werden. Dies würde nach Ansicht der OECD dazu beitragen, das Wachstum zu fördern, und sicherstellen, dass die Transformation den sozialen Zusammenhalt nicht schwächt.

Private Investitionen von Unternehmen in nachhaltige Technologien und F&E beurteilt die OECD als zu gering. Volatile CO2-Preise erzeugten hohe Unsicherheit, erschwerten die Investitionskalkulation und gäben Unternehmen möglicherweise Anreize, auf fallende CO2-Zertifikatepreise zu spekulieren und nachhaltige Investitionen aufzuschieben. Mögliche Lösungen seien ein adaptiver, nationaler Mindest-CO2-Preis oder die Verteilung von Optionsscheinen, die den Unternehmen bei einem CO2-Preis unterhalb eines angekündigten Preispfades die Preisdifferenz erstatten würde. Eine Ausweitung von Carbon Contracts for Difference (CCfDs), die Unternehmen für die Vermeidung von CO2 durch die Implementierung von klimafreundlichen Technologien belohnen, könnte vor allem in Industrien mit hohen CO2-Vermeidungskosten helfen. Die OECD verweist dabei auf die erfolgreiche Nutzung von CCfDs in Großbritannien.

Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen erfordert weitere politische Aufmerksamkeit

ABBILDUNG 2: MASSNAHMEN ZUM KLIMASCHUTZ STOSSEN AUF UNTERSCHIEDLICHE AKZEPTANZ Bild vergrößern

Die OECD betont, dass eine Klimapolitik nur erfolgreich sein könne, wenn sie allgemein akzeptiert ist. Daher müssten soziale Spannungen begrenzt werden, auch da der Technologie- und Strukturwandel aller Voraussicht nach zu Arbeitsplatzverlusten und höheren Lebenshaltungskosten führen werden. Zwar entstünden durch nachhaltige Innovationen auch neue Arbeitsplätze, jedoch seien die Unterschiede bei den benötigten Qualifikationen und die regionale Distanz zwischen den neuen und alten Arbeitsplätzen oft groß. Die OECD empfiehlt daher eine breiter angelegte aktive Arbeitsmarktpolitik, insbesondere Umschulungsmaßnahmen und Hilfen bei der Erlangung von beruflichen Grundkompetenzen. Arbeitsuchende sollten durch Mobilitätshilfen zur Aufnahme einer Beschäftigung in einer anderen Arbeitsmarktregion bewegt werden.

Die Akzeptanz des Klimaschutzes in der Bevölkerung liegt nach Angaben der OECD auf einem vergleichbar hohen Niveau wie in anderen Industrieländern. Bei einer von der OECD beauftragten Befragung sprachen sich die Befürworter von Maßnahmen zum Klimaschutz besonders für die Subventionierung von emissionsarmen Technologien bzw. entsprechenden Gütern aus (Abbildung 2). Eine ähnlich hohe Zustimmung erreichten nach der OECD-Untersuchung verbindliche Vorgaben zur besseren Wärmeisolierung von Gebäuden (inkl. staatlicher Unterstützung). Für ein Verbot von Verbrennungsmotoren sprachen sich in DEU nur etwa 40 Prozent der Klimaschutzbefürworter aus. Noch unbeliebter ist eine höhere Mineralölsteuer. Die Akzeptanz von (höheren) CO2-Preisen hängt jedoch nach der OECD-Untersuchung von der Verwendung der erzielten Einnahmen ab (Abbildung 3). Große Zustimmung erfährt dabei die Nutzung für Subventionen oder für klimafreundliche Infrastrukturen. Relativ unpopulär ist die Idee, das Aufkommen aus der CO2-Bepreisung pauschal an alle Haushalte zu verteilen. Gezieltere Transfers stießen dagegen in dieser Befragung auf eine höhere Zustimmung.

Viele Vorschläge der OECD werden bereits umgesetzt

Der OECD-Wirtschaftsbericht gibt wertvolle Hinweise auf Gestaltungsoptionen im Sinne einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik. Viele der im Bericht aufgegriffenen Themen und Empfehlungen haben Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden oder befinden sich bereits in der politischen Umsetzung. So besteht z. B. weitgehende Übereinstimmung darüber, dass die Reduktionsgeschwindigkeit der Emissionen ungefähr verdreifacht werden muss. Dazu sind v. a. die bereits erfolgten Veränderungen für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Ausbau der erneuerbaren Energie erforderlich.

Die angemahnte „Modernisierung des Staates“ ist eine umfassende Aufgabe, an deren Bewältigung die Bundesregierung bereits intensiv arbeitet. Bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung soll die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern mit der Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes verbessert und verstetigt werden. Die im letzten Jahr verabschiedete Digitalstrategie der Bundesregierung formuliert Ziele für die wichtigsten Digitalvorhaben. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen u. a. viele Verwaltungsleistungen digitalisiert sein.

Die Empfehlungen der OECD zur Klimaschutzpolitik bestätigen grundsätzlich den von Bund und Ländern verfolgten Kurs. Sie machen aber auch deutlich, dass eine Intensivierung der Anstrengungen erforderlich ist, um das Ziel, bis zum Jahr 2045 treibhausgasneutral zu werden, zu erreichen. Der OECD-Wirtschaftsbericht macht dabei auch deutlich, dass die Verringerung der Treibhausgasemissionen zwar nicht ohne zusätzliche Investitionen, wohl aber mit überschaubaren ökonomischen Kosten erreicht werden kann. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn es gelingt, die Emissionsminderungen durch einen geeigneten Mix aus CO2-Bepreisung, Ordnungsrecht und zielgerichteten Subventionen zu erreichen.

ABBILDUNG 3: AKZEPTANZ EINES CO2-PREISES HÄNGT VON DER VERWENDUNG DES DADURCH ERZIELTEN AUFKOMMENS AB Bild vergrößern

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Dr. Michael Feil
Referat: Internationale Wirtschafts- und Währungsfragen
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