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Kosten und Risiken des Klimawandels
Neue Herausforderungen für die wirtschaftspolitische Koordinierung auf EU-Ebene
Einleitung
Auf europäischer Ebene versucht die EU-Kommission zusammen mit den Mitgliedsstaaten, gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte frühzeitig zu erkennen, sie zu verhindern oder bereits bestehende Ungleichgewichte gemeinsam zu korrigieren. Dabei berücksichtigt sie eine Vielzahl von Aspekten, wie zum Beispiel den Leistungsbilanzsaldo, die Lohnstückkosten, Arbeitslosenquoten oder private sowie öffentliche Schuldenstände. Die Auswirkungen des Klimawandels in den einzelnen Mitgliedstaaten werden dabei bislang im Kontext der wirtschaftspolitischen Koordinierung nicht separat betrachtet.
Der Klimawandel ist ein globales Problem, das nicht nur ökologische Folgen hat, sondern auch wirtschaftliche Kosten und Risiken mit sich bringt. Dabei kann zwischen physischen Risiken und Umstellungskosten unterschieden werden: Mit physischen Risiken sind die direkten Schäden gemeint, die durch den Klimawandel verursacht werden, wie etwa die Folgen von häufiger werdenden Unwettern und Extremwetterlagen. Umstellungskosten entstehen im Zuge des Wandels zu klimaneutralem Wirtschaften etwa durch die Veränderung von Produktionsprozessen und auch bei Anpassungen an den Klimawandel, etwa wenn der Klimawandel die räumliche Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten oder den Bau von Dämmen erfordert. Kosten und Risiken entstehen nicht nur bei den Bürgerinnen und Bürgern und den einzelnen Betrieben, sondern auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene.
Kosten und Risiken des Klimawandels variieren regional
Klimarisiken treten nicht gleichförmig und stetig auf, sondern variieren regional erheblich. So haben manche Länder mehr Probleme mit einer Zunahme von Extremwetterereignissen, während für Länder mit viel Industrie, die auf fossiler Energie beruht, die Umstellung auf klimaneutrale Produktion die größere Herausforderung ist. Die Risiken und Kosten, die sich für die Mitgliedsländer der Europäischen Union aus dem Klimawandel ergeben, sind entsprechend sehr unterschiedlich.
Für das Funktionieren der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist es von zentraler Bedeutung, die Konzentration von Risiken in einzelnen Mitgliedstaaten zu begrenzen. Das BMWK setzt sich angesichts des voranschreitenden Klimawandels dafür ein, Risiken und Kosten von Klimawandel und Klimapolitik im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung künftig stärker zu berücksichtigen.
Kosten des Klimawandels: EU-Staaten sind unterschiedlich betroffen
Der Klimawandel führt zu mehr und zum Teil auch extremeren Wetterereignissen und häufigeren sowie schwereren Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Dürren, Waldbränden und Hitzewellen. Solche physischen Risiken können Sachwerte beschädigen, Lieferketten unterbrechen und Infrastrukturausfälle verursachen, was zu wirtschaftlichen Verlusten führt.
Forschungsergebnisse der Europäischen Energieagentur (Abbildung 1) zeigen, dass die Regionen Europas von physischen Klimarisiken unterschiedlich stark betroffen sind. Während in Italiens Norden Hitzewellen das dominante Risiko sind, sind im Süden vor allem übermäßige Regenfälle eine Gefahr. In Deutschland und Zentraleuropa wiederum ist Dürre das größte physische Klimarisiko.
Auch Umstellungskosten betreffen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich stark
Neben dem Klimawandel selbst sind auch die Umstellung auf klimaneutrales Wirtschaften und etwaige Anpassungen mit Kosten verbunden und ziehen entsprechende gesamtwirtschaftliche Auswirkungen nach sich. Die grüne Transformation erfordert, dass Haushalte, Unternehmen und auch der Staat Art und Weise ihres bisherigen kohlenstoffintensiven Wirtschaftens umstellen. Dies kann z. B. dazu führen, dass Investitionen in fossile Brennstoffreserven oder Infrastrukturen unwirtschaftlich werden. Denn wenn sich die Wirtschaft auf klimaneutrale Energiequellen umstellt, muss ein Teil des Kapitalstocks abgeschrieben werden. Auch die Bepreisung von CO2-Emissionen kann (und soll) dazu führen, dass besonders klimaschädliche Geschäftsmodelle nicht mehr wirtschaftlich sind und ein Umstellungsbedarf entsteht.
Belastungen für die öffentlichen Haushalte entstehen zudem durch die Herausforderung, die negativen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Dekarbonisierung sozial und strukturell abzufedern. Die Kosten für den entsprechenden Ausgleich können je nach Land, den gewählten politischen Strategien und auch in Bezug auf Geschwindigkeit sowie Umfang der Umsetzung variieren. Außerdem hängen sie von den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder auch der Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft ab. Neben Umschulungsmaßnahmen könnten dazu auch Einkommens- und Anpassungshilfen für betroffene Haushalte und Beschäftigte nötig werden. Außerdem könnte die Förderung von Innovation und privaten Investitionen in grüne Technologien zusätzlich erhebliche und langfristige öffentliche Investitionen erfordern.
Auch diese Umstellungskosten sind in Europa regional sehr unterschiedlich verteilt. Die Beschäftigung in besonders CO2-intensiven Industrien („braunen Industrien“) ist hier ein aussagekräftiger Indikator. Forschungsarbeiten der EU-Kommission haben ergeben, dass es besonders viele von der Umstellung auf Klimaneutralität betroffene Arbeitsplätze in Osteuropa, aber auch in Süditalien und in Spanien gibt (Abbildung 2). Die betroffenen Branchen sind vor allem die Fischerei, die Landwirtschaft, der Bergbau, die Chemie, die Herstellung von Metallen, aber auch nichtmetallischer mineralischer Produkte und Erdölprodukte, die Abfallwirtschaft, der Luftverkehr, die Schifffahrt sowie nicht zuletzt die Energieversorgung. Nach Schätzung der EU-Kommission kommen für die EU als Ganzes allein für die Aus- und Weiterbildung – zur Vorbereitung von Arbeitskräften auf die grüne Transformation – Kosten von rund 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung (gemessen mit dem BIP) zusammen. Für Deutschland fällt die Schätzung mit 0,7 Prozent etwas geringer aus. Für Bulgarien, Rumänien, Polen, Griechenland, Portugal, Tschechien, die Slowakei oder das Baltikum liegen die Schätzungen bei 1 Prozent bis über 1,8 Prozent des nationalen BIP.
Wirtschaftspolitische Koordinierung sollte Klimarisiken einbeziehen
Unterschiedliche makroökonomische Folgen des Klimawandels zwischen den Mitgliedstaaten und auch innerhalb dieser sind also ein ernstzunehmender wirtschaftspolitischer Faktor. Es zeichnet sich ab, dass es sowohl innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedstaaten als auch zwischen ihnen erhebliche Ungleichgewichte bei den volkswirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gibt und geben wird.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie diese Risiken in die Koordinierung der europäischen Wirtschaftspolitik einbezogen werden können. Die 27 Mitgliedstaaten der EU koordinieren ihre Wirtschafts- und Fiskalpolitik in einem jährlichen, festgelegten Prozess, dem so genannten Europäischen Semester (s. Kasten 1).
Kasten 1: Der Klimawandel im Europäischen Semester
Mit der Grundausrichtung auf den Green Deal und ökologische Nachhaltigkeit hat die Europäische Union in den letzten Jahren die Klimapolitik in den Fokus genommen und in der wirtschaftspolitischen Koordinierung zunehmend mitgedacht. Das Europäische Semester enthält daher bereits Ansätze, die für die verschiedenen makroökonomischen Risiken des Klimawandels relevant sind. So sorgt das Europäische Semester u.a. dafür, dass mit Empfehlungen zur Förderung der Entwicklung grüner Technologien und Industrien sowie zur Unterstützung des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft die Widerstandsfähigkeit der Mitgliedstaaten gegenüber wirtschaftlichen Schocks, einschließlich solcher, die sich aus dem Klimawandel ergeben, erhöht wird. Gleichwohl beschäftigt sich das Semester aber noch nicht explizit mit den volkswirtschaftlichen Risiken und Kosten des Klimawandels.
Das Verfahren für makroökonomische Ungleichgewichte könnte geeigneten Rahmen bieten
Ein im Kontext volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte zentrales Element des Europäischen Semesters ist das Verfahren für makroökonomische Ungleichgewichte (Macroeconomic Imbalance Procedure, MIP). Mit dem MIP versucht die EU-Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten, gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte frühzeitig zu erkennen, zu vermeiden und bereits bestehende Ungleichgewichte zu korrigieren. Das Verfahren stützt sich auf ein Scoreboard von 14 Indikatoren (s. Kasten 2).
Kasten 2: Das Verfahren für makroökonomische Ungleichgewichte
Beim Verfahren für makroökonomische Ungleichgewichte werden 14 Indikatoren – z.B. Arbeitslosigkeit oder die Leistungsbilanz – betrachtet, um die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten zu überwachen. Zusammen bilden die Indikatoren das so genannte Scoreboard, auf Basis dessen die EU-Kommission entscheidet, ob ein Mitgliedstaat ein Ungleichgewicht oder gar ein „übermäßiges“ Ungleichgewicht verzeichnet. Dabei werden die Daten nicht mechanisch, sondern mit einem so genannten „economic reading“ interpretiert: Betrachtet werden die Daten in der Gesamtschau und vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedes einzelnen Mitgliedstaates.
Mit voranschreitendem Klimawandel dürften dessen makroökonomische Folgen auch im bestehenden Scoreboard des MIP spürbar werden – jedoch nur im Rückblick: So könnten sich durch Extremwetter und verschleppte Übergangskosten die Wirtschaftsleistung und damit Beschäftigung, Außenhandel oder auch Verschuldung verschlechtern.
Auch wenn das MIP grundsätzlich also ein geeignetes Instrument darstellt, makroökonomische Ungleichgewichte resultierend aus dem Klimawandel zu identifizieren und ihnen wirtschaftspolitisch zu begegnen, besteht das Problem, dass physische Risiken und Umstellungsrisiken des Klimawandels sich kaum vorausschauend erfassen lassen. Es ist jedoch an der Zeit, auch den vor diesem Hintergrund entstehenden Ungleichgewichten vorzubeugen. Dies gilt umso mehr, weil die volkswirtschaftlichen Folgen des Klimawandels regional höchst unterschiedlich ausfallen werden.
Bislang berücksichtigt die Analyse im Rahmen des MIP die Verletzlichkeit von Volkswirtschaften aufgrund der makroökonomischen Effekte des Klimawandels nicht explizit. Deshalb setzt sich die Bundesregierung derzeit dafür ein, auch diese Faktoren im Hinblick auf potenzielle Risiken für den Finanzsektor und die Realwirtschaft im Kontext des MIP zu diskutieren. Aus Sicht des BMWK sollten volkswirtschaftliche Risiken des Klimawandels künftig explizit im Rahmen des Scoreboards als eine weitere Dimension möglicher Ungleichgewichte betrachtet werden. Denn dass der Klimawandel künftig zunehmend auch gesamtwirtschaftliche Folgen haben – und Krisen verursachen – wird, ist mittlerweile sehr wahrscheinlich. Diese Risiken sollten im Rahmen der europäischen Fiskal-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik abgebildet werden.
Deshalb arbeitet das BMWK derzeit an konkreten Vorschlägen, wie solche Faktoren im MIP berücksichtigt werden können.
Konkret ließen sich physische Risiken in das Scoreboard einbeziehen, indem Messgrößen für die volkswirtschaftliche Gefahr durch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Sturmfluten oder Waldbrände berücksichtigt werden. Andere Indikatoren könnten Messgrößen für klimabedingte Schäden an Infrastruktur und Eigentum sein, wie der Wert der durch extreme Wetterereignisse beschädigten oder zerstörten Häuser oder Unternehmen
Um Umstellungskosten in das MIP einzubeziehen, könnten Messgrößen für die Kohlenstoffintensität der Wirtschaft eingeführt werden, wie der Anteil fossiler Brennstoffe am Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen pro Kopf. Andere Indikatoren könnten Messgrößen wie beispielsweise der Bestand an so genannten „braunen“ volkswirtschaftlichen Vermögensgegenständen (Kohlebergwerke, Ölreserven und andere kohlenstoffintensive Infrastruktur) am Kapitalstock sein. In Verbindung mit dem Schuldenstand eines Mitgliedstaates liefert dieser eine Einschätzung über die Herausforderungen, die für einzelne Mitgliedstaaten mit der grünen Transformation einhergehen.
Solide Datengrundlage benötigt
Bei einer Integration von Klimarisiken in die Risikobewertung der einzelnen Mitgliedstaaten ist zu berücksichtigen: Ein für alle EU-Mitglieder geltendes Verfahren benötigt eine solide Datengrundlage mit für alle Mitgliedstaaten verfügbaren Daten. Aktuell liegen hinreichend geeignete Daten für ein ergänztes Monitoring im Kontext des Makroökonomischen Ungleichgewichteverfahrens noch nicht vor. Es laufen jedoch zahlreiche nationale Anstrengungen sowie Initiativen auf EU-Ebene (hier v. a. das Projekt „Projection of Economic impacts of climate change in Sectors of the European Union“ oder einfach PESETA), um die volkswirtschaftlichen Folgen des Klimawandels besser zu erfassen und zwischen den Mitgliedstaaten vergleichbar zu machen. Umso wichtiger ist, dass große EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland dies unterstützen. Der Klimawandel wird volkswirtschaftliche Folgen haben und wir müssen uns darauf gut und frühzeitig auch auf europäischer Ebene vorbereiten.
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Referat: Europäische Wirtschafts- und Währungsfragen