Titelbild zum Artikel "Ökodesign-Verordnung und grüne Leitmärkte – Nachhaltige Produkte werden in der EU zur Norm"

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Bereits am 22.12.2023 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union der vorläufigen Einigung zur neuen EU-Verordnung für das Ökodesign für nachhaltige Produkte (ESPR) – einem wesentlichen Element des Europäischen Green Deal – grünes Licht gegeben. Das Europäische Parlament hat die vorläufige Einigung am 23.04.2024 mit großer Mehrheit formell gebilligt. Vorausgegangen waren konstruktive Verhandlungen, in denen sich die Bundesregierung unter anderem für die Stärkung der Kreislaufwirtschaft, die Förderung der Reparatur und der Rohstoff-Wiedergewinnung, das Verbot der Vernichtung von gebrauchsfähigen Produkten, die Verankerung von Leichtbau als zukünftig eigenständigem Produktparameter sowie die technologieoffene Umsetzung des geplanten Digitalen Produktpasses eingesetzt hat.

Die neue Ökodesign-­Verordnung hat eine hohe politische Bedeutung, da sie an der Schnittstelle von Wirtschaft, Umwelt­, Klima­ und Verbraucherschutz und im Besonderen Ressourcenschutz angesiedelt ist. Ihr ganzheitlicher Ansatz – von der Designphase eines Produktes über den Betrieb, die Reparatur/Wiederaufbereitung, die Kreislauf­ führung und das Recycling, gepaart mit einem zukünftig möglichen Verbot der Zerstörung von unverkauften Produkten – besitzt großes Potenzial für klimafreundliches, zirkuläres Wirtschaften und die Entstehung von grünen Leitmärkten und setzt zentrale Ziele des europäischen Green Deal um. Ökodesign ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Es leistet bereits heute – direkt durch effiziente Produkte und indirekt durch die Einsparung von Ressourcen – nicht nur einen Beitrag zu mehr Umwelt­, Klima­ und Verbraucher­ schutz, sondern auch zur Versorgungssicherheit in Krisenzeiten.

– Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zur neuen Ökodesign-Verordnung

Aus alt mach neu

Gleichzeitig mit Inkrafttreten der neuen Ökodesign-Verordnung wird die bisherige Ökodesign-Richtlinie abgelöst. Zukünftig können nicht mehr nur Anforderungen an energieverbrauchsrelevante Produkte wie Waschmaschinen, Kühlschränke oder Motoren gestellt werden. Vielmehr gehören nun nahezu alle Produkte in den möglichen Anwendungsbereich zukünftiger Produktregulierungen. Die neue Ökodesign-Verordnung stellt dabei selbst noch keine Anforderungen an die betroffenen Produkte. Sie beinhaltet lediglich Kriterien für neue Produktregulierungen, die in Form von nachgeordneten produktspezifischen Verordnungen erlassen werden. Die Anforderungen in den Produktverordnungen betreffen den gesamten Lebenszyklus eines Produktes und bilden ein großes Spektrum an Nachhaltigkeitsaspekten ab. Darunter fallen neben der Materialeffizienz z. B. auch die Aspekte Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Wiederverwendung, Aufbereitung, der CO2- und Umweltfußabdruck sowie Wasser-, Boden- oder Luftverschmutzung.

Um den betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit für die Umgestaltung ihrer Produkte einzuräumen, sollen diese Regelungen zukünftig grundsätzlich erst nach einer Übergangszeit von 18 Monaten nach Inkrafttreten der jeweiligen Produktverordnung angewendet werden. Den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen soll dabei besonders Rechnung getragen werden.

Das Ökodesign von Produkten leistet bereits heute einen wichtigen Beitrag, um die Energie- und Ressourceneffizienz von Produkten zu verbessern. Die Europäische Kommission schätzt, dass allein durch die zuletzt verabschiedeten Produktverordnungen der bisherigen Ökodesign-Richtlinie europaweit ab 2030 jährlich knapp 167 Terawattstunden Endenergie eingespart werden können. Dies entspricht einer Reduzierung von über 46 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Das Ökodesign ist somit eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz und damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Begrenzung von CO2-Emissionen sowie zur Umsetzung der Energiewende und der Erreichung der Klimaschutzziele.

Von Ökodesign-Maßnahmen profitieren insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher, da sie durch die geringeren Stromverbräuche und die Langlebigkeit und Reparierbarkeit ihrer Produkte sparen können.

Ökodesign leistet aber auch einen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Der effiziente Einsatz von Energie und Ressourcen unterstützt Unternehmen dabei, ihre Produktionskosten zu senken. Daneben bietet Ökodesign auch Chancen im Hinblick auf die Stärkung der Innovationskraft. Einheitliche europäische Mindestanforderungen unterstützen zudem den freien Warenverkehr im Binnenmarkt und helfen, neue Märkte zu erschließen und Marktanteile zu gewinnen.

Die neuen Produktregulierungen gehen mit Informationsanforderungen einher. Als neue Instrumente werden der Digitale Produktpass, ein Ökodesign-Label und ein Reparierbarkeits-Index den Verbraucherinnen und Verbrauchern Informationen für eine nachhaltige Kaufentscheidung an die Hand geben. Der Digitale Produktpass wird daneben auch andere relevante Akteure im Lebenszyklus eines Produktes informieren und ihnen die Arbeit erleichtern, beispielsweise den Marktüberwachungsbehörden im Rahmen der Konformitätsüberprüfung oder den Entsorgungsunternehmen zur Kreislauf- und Recyclingfähigkeit.

Daneben wurde der Leichtbau gleich an mehreren Stellen explizit berücksichtigt und als zukünftige Anforderung an Produkte um die Aspekte Kreislaufwirtschaft und Recycling sinnvoll ergänzt. Somit ergibt sich eine zielführende Systematik, wonach zukünftig Anforderungen an Produkte auf Basis des Leichtbaus zur Verbesserung der Materialeffizienz beziehungsweise zur Verringerung des Materialverbrauchs entscheidend beitragen können.

Die Ökodesign-Verordnung enthält darüber hinaus mit der direkten Vorgabe, gebrauchsfähige Textilien und Schuhe nicht mehr zu vernichten, einen weiteren Meilenstein hin zu einer gelebten Kreislaufwirtschaft. Diese Vorgabe gilt für große Unternehmen direkt zwei Jahre nach Inkrafttreten, während kleinen und mittleren Unternehmen eine Übergangszeit von sechs Jahren eingeräumt wird. Zusätzlich wird die Europäische Kommission ermächtigt, auch weitere Produktgruppen vergleichbar zu regulieren.

Wie es weitergeht

Der Verordnungsentwurf muss nun noch formell vom Rat gebilligt werden, um anschließend in Kraft treten zu können. Die Europäische Kommission wird in den kommenden Jahren unter anderem Möbel, Textilien und Schuhe, Eisen, Stahl, Aluminium, Reinigungsmittel und Chemikalien in den Fokus des Ökodesigns nehmen. Dazu wird sie bis März 2025 in einem Arbeitsplan alle Produktgruppen festlegen, für die in den nächsten Jahren entsprechende Produktverordnungen erarbeitet werden sollen. So hat die Kommission die Arbeit an einer Stahl-Produktverordnung bereits begonnen.

Denn Grundstoffe haben eine entscheidende Rolle bei der Transformation zu einer treibhausneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Die meisten CO2-Emissionen in den Endprodukten stammen aus der Grundstoffherstellung. Aktuell ist die Grundstoffproduktion in der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie weltweit mit hohen Emissionen verbunden. Produktionsanlagen haben eine jahrzehntelange Lebensdauer, die in der aktuellen Dekade für einen relevanten Teil des globalen Anlagenparks zu Ende geht. Um die nationalen und europäischen Klimaziele zu erreichen, bedarf es daher jetzt einer grundlegenden Transformation der industriellen Produktion und Wertschöpfung.

Grüne Leitmärkte

Die Gestaltung der Rahmenbedingungen für eine klimafreundliche und gleichzeitig wettbewerbsfähige Industrie ist ein zentrales industriepolitisches Anliegen der Bundesregierung und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Neben den Anreizen von Investitionen in Schlüsseltechnologien durch Förderprogramme sollen mittel- bis langfristig auch eine verlässliche Nachfrage für klimafreundliche Grundstoffe am Markt geschaffen und Kostensenkungspotenziale bei emissionsarmen Verfahren gehoben werden. Dafür will die Bundesregierung Anreize für Leitmärkte und für klimafreundliche Produkte schaffen und die Investitionen von Unternehmen auf dem Weg zu Klimaneutralität unterstützen.

Leitmärkte wirken komplementär zu anderen Transformationsinstrumenten für die Industrie, verringern den Bedarf an Fördermitteln und verstärken die Wirkung der CO2-Bepreisung. Langfristig tragen sie europa- und weltweit zu einheitlichen Standards für klimafreundliche Produkte bei.

Zur Schaffung solcher Leitmärkte hat das BMWK im Jahr 2023 einen branchenübergreifenden Stakeholderprozess mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft durchgeführt. Vertreten waren neben Herstellern aus der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie auch relevante Abnehmerbranchen wie die Automobilindustrie, Baugewerbe, Metallverpackungen und Kunststoffrohre. Im Ergebnis dieses Stakeholderprozesses legt das BMWK ein Konzept „Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe“ vor, das europäisch und international anschlussfähige Definitionen für klimafreundliche Grundstoffe liefert.

Wir müssen die Rahmenbedingungen so setzen, dass sie die Nachfrage nach grünen Produkten stärken und dass diese mittel­- bis langfristig wettbewerbs­ fähig sind. Ein erster Schritt ist, festzulegen, wann Grundstoffe überhaupt grün sind. Hierauf aufbauend können sich Schritt für Schritt grüne Leitmärkte ent­wickeln.

– Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zur Veröffentlichung des Konzepts

Konzept "Leitmärkte für klimafreundliche Grundstoffe"

Ziel des Konzepts ist es, einen Impuls für die Schaffung von Leitmärkten für klimafreundliche Grundstoffe zu geben. Das Konzept fokussiert sich zunächst auf die drei größten Branchen der energieintensiven Grundstoffindustrie: Stahl, Zement und Chemie. Es bietet die Grundlagen für die Einführung von Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, die die Wettbewerbsfähigkeit klimafreundlicher Grundstoffe stärken.

Für die Schaffung von Leitmärkten sind in einem ersten Schritt transparente Informationen und Definitionen erforderlich, die es den Marktakteuren ermöglichen, klimafreundliche von herkömmlichen Grundstoffen und Produkten zu unterscheiden. Aktuell ist es für Konsumentinnen und Konsumenten sowie weiterverarbeitende Unternehmen kaum möglich herauszufinden, wie hoch die CO2-Emissionen aus der Herstellung von Produkten sind. Daher bilden Definitionen für klimafreundlichen Stahl, Zement und die Basischemikalien Ethylen und Ammoniak den ersten wichtigen Baustein, den dieses Konzept liefert.

Aufbauend auf den Definitionen können verlässliche Kennzeichnungssysteme entwickelt werden. Kennzeichnungen beziehungsweise Label sind ein wichtiges und zugleich bürokratiearmes Instrument, damit Abnehmerinnen und Abnehmer klimafreundliche von konventionellen Produkten unterscheiden können. Private Kennzeichnungsinitiativen, wie der von der Wirtschaftsvereinigung Stahl jüngst veröffentlichte „Low Emission Steel Standard (LESS)“, können hier einen ersten wichtigen Schritt bilden. Unternehmen können so ihre klimafreundlich hergestellten Produkte standardisiert bezeichnen und bewerben. Perspektivisch werden Kennzeichnungen beziehungsweise Labels und Nachhaltigkeitsanforderungen auf europäischer Ebene aufgegriffen und vereinheitlicht. Daher setzt sich das Konzept für europäische Definitionen und Lösungen ein.

Um Leitmärkte voranzubringen, kann die öffentliche Beschaffung ein Hebel sein und klimafreundliche Produkte in dem Vergabeprozess bevorzugen, bis diese spätestens ab dem Jahr 2045 in Deutschland und ab dem Jahr 2050 in Europa der Standard sein werden. Weitere Maßnahmen, die auf europäischer Ebene z. B. im Rahmen der Ökodesign-Verordnung umzusetzen wären, sind die Schaffung von verbindlichen Anforderungen an die Emissionsintensität von Grundstoffen und Produkten sowie Quoten für klimafreundliche Grundstoffe.

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Referat: IVE2 – Marktrahmen zur Dekarbonisierung der Industrie, internationale Kooperation

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