IN KÜRZE

Trotz der anhaltenden geopolitischen Risiken sehen die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IWF) Anhaltspunkte für vorsichtigen Optimismus: Die Inflation geht schneller zurück als erwartet und die Arbeitslosigkeit ist in den meisten Regionen auf oder nahe einem Rekordtief. Unternehmen und Haushalte schöpfen Vertrauen. Die weiterhin restriktiven Finanzierungsbedingungen bleiben allerdings spürbar, insbesondere auf den Immobilien- und Kreditmärkten. In ihren jüngsten Prognosen vom 2. Mai (OECD) und 16. April (IWF) nehmen die Organisationen für dieses Jahr erneut leichte Aufwärtskorrekturen vor.

Das weltweite Wachstum in 2023 war mit etwas mehr als 3 % höher, als vor einem Jahr prognostiziert. Diese Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft war allerdings regional sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Die Vereinigten Staaten erlebten, angetrieben durch den Konsum der privaten Haushalte und eine unerwartet expansive Fiskalpolitik, ein sehr robustes Wachstum. Auch mehrere große Schwellenländer – zuvorderst Indien und Indonesien sowie Brasilien, Mexiko und die Türkei – überraschten positiv. In China halfen Konjunkturmaßnahmen, die anhaltende Schwäche an den Immobilienmärkten auszugleichen. In zahlreichen anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere in Europa, und in den Ländern mit niedrigem Einkommen schwächte sich das Wachstum dagegen ab.

In 12 OECD-Volkswirtschaften ging die Produktion im Jahresverlauf bis zum vierten Quartal zurück, darunter auch in Deutschland und im Vereinigten Königreich; im Eurogebiet stagnierte sie. Diese Konjunkturschwäche in Europa spiegelt die anhaltenden Auswirkungen des Energiepreisschocks im Jahr 2022 und die Verlangsamung des Kreditwachstums in Volkswirtschaften mit einer relativ hohen Abhängigkeit von bankbasierter Finanzierung wider. Das enttäuschende Wachstum der Gruppe der einkommensschwachen Länder wird dagegen den restriktiveren Finanzierungsbedingungen sowie teilweise auch den negativen Auswirkungen des Klimawandels zugeschrieben: Die schwere Dürre im südlichen Afrika hat die Getreideernten stark reduziert und zu Wasserknappheit und Stromausfällen geführt.

Diese regional stark unterschiedliche Entwicklung setzt sich auch am aktuellen Rand fort, allerdings mit insgesamt etwas positiverer Nuancierung:

Die jüngsten Monatsindikatoren waren in den einzelnen Ländern uneinheitlich, deuten aber insgesamt darauf hin, dass die Talsohle des weltweiten Wachstums um den Jahreswechsel passiert wurde. Unternehmensumfragen deuten auf eine Belebung der Geschäftstätigkeit sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungssektor hin. Der Einkaufsmanagerindex, der Einschätzungen zur künftigen Geschäftsentwicklung widerspiegelt, liegt in den meisten großen Volkswirtschaften wieder über 50, was einer erwarteten Verbesserung entspricht:

Abbildung 1: Einkaufsmanager-Index Bild vergrößern
ABB. 2: OECD-INDEX DES VERBRAUCHERVERTRAUENS Bild vergrößern

Auch das Verbrauchervertrauen verbessert sich, bleibt aber – gemessen am langfristigen Durchschnitt – in den meisten großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften und in China gedämpft. Israel verzeichnete in jüngster Zeit ebenfalls einen starken Rückgang. In vielen Schwellenländern, in denen das Wachstum stabil geblieben ist, wie in Indonesien und Mexiko, hat sich das Verbrauchervertrauen ebenfalls stabilisiert.

Insgesamt deuten jüngste Konjunkturindikatoren auf gestiegenes Vertrauen, aber bescheidene Wachstumsdynamik hin.

DIE FINANZIERUNGSBEDINGUNGEN ENTSPANNEN SICH ETWAS, ABER BLEIBEN RESTRIKTIV

Die globalen Finanzierungsbedingungen haben sich in den letzten Monaten leicht entspannt. Die Aktienkurse haben sich erholt, die Volatilität ist zurückgegangen. Trotzdem belasten hohe Realzinsen weiterhin die Wirtschaftstätigkeit. Nach deutlichem Rückgang Ende 2023 nehmen die nominalen Renditen langfristiger Staatsanleihen seit Anfang 2024 in den meisten Volkswirtschaften zu, was auf gestiegene Erwartungen in Bezug auf die künftige Entwicklung der Leitzinsen in den wichtigsten fortgeschrittenen Volkswirtschaften und höhere Laufzeitprämien zurückzuführen ist. Im Gegensatz dazu haben sich die Renditeaufschläge für Unternehmensanleihen verringert, obwohl die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in einigen Ländern weiter zunimmt. Eine starke Nachfrage nach Technologiewerten und ungebrochene Risikobereitschaft haben die Aktienkurse in diesem Jahr in die Höhe getrieben, wobei China eine bemerkenswerte Ausnahme darstellt. Der US-Dollar hat seit Januar 2024 nominal leicht an Wert gewonnen, in den Schwellenländern mit hoher Inflation kam es zu starken Währungsabwertungen gegenüber dem US-Dollar.

Die OECD sieht Anzeichen dafür, dass sich die Übertragung der geldpolitischen Straffung auf die Kreditbedingungen in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften ihrem Ende nähert. So sind die Kreditzinsen der Banken für Unternehmen und die Hypothekenzinsen der privaten Haushalte in letzter Zeit leicht gesunken, ebenso die Einlagenzinsen der privaten Haushalte, was darauf hindeutet, dass die vergangenen Leitzinserhöhungen vollständig weitergegeben wurden. Auch die Verschärfung der Kreditstandards hat sich in vielen großen Volkswirtschaften abgeschwächt. Mag sich auch eine Stabilisierung anbahnen, so bleibt das Kreditwachstum in den meisten großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften zunächst weiterhin real negativ.

DIE INFLATION IST FAST ÜBERALL GESUNKEN, ABER FAST NIRGENDWO GÄNZLICH GEBANNT

Die Gesamtinflation ging in den meisten Volkswirtschaften im Laufe des Jahres 2023 rasch zurück, was durch allgemein restriktive geldpolitische Ausrichtungen, niedrigere Energiepreise und eine anhaltende Entspannung in den Lieferketten begünstigt wurde. Auch der Auftrieb bei den Lebensmittelpreisen ging in den meisten Ländern stark zurück, nachdem gute Ernten bei wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Mais die Preise von den Höchstständen, die nach Beginn des Krieges in der Ukraine erreicht worden waren, rasch sinken ließen.

Die durchschnittliche Inflation der fortgeschrittenen Volkswirtschaften ging der OECD zufolge (Median) von 9,9 % im letzten Quartal 2022 auf 3 % im ersten Quartal 2024 zurück. Auch in den aufstrebenden Volkswirtschaften war die jährliche Inflation im Allgemeinen rückläufig, mit Ausnahme von Argentinien und der Türkei, wo sie bis zuletzt weiter angestiegen ist. Allerdings hat sich der monatliche Anstieg auch in diesen Ländern in letzter Zeit abgeschwächt. In China ist die Inflation weiterhin sehr niedrig und lag im April bei 0,3 %. In etwa einem Drittel der Volkswirtschaften weltweit liegt die Inflation mittlerweile am oder unter dem Zielwert.

ABBILDUNG 3: INFLATIONSENTWICKLUNG IN DEN WELTREGIONEN Bild vergrößern

Große Unterschiede gibt es weiterhin zwischen Gütern und Dienstleistungen: Bei Letzteren hält sich die Teuerung hartnäckiger und liegt in den meisten OECD-Ländern weiterhin deutlich über den Durchschnittswerten vor der Pandemie. Dies spiegelt das größere Gewicht der Lohnkosten in vielen Dienstleistungen sowie die höheren Gewinne in einigen Sektoren wider. So lag die jährliche Preisinflation im Dienstleistungssektor laut OECD in den Vereinigten Staaten und der Eurozone weiterhin bei 4 % und in mehreren Ländern Mittel- und Osteuropas bei über 6 %.

DER WELTHANDEL ERHOLT SICH, DIE LIEFERKETTEN BLEIBEN TROTZ ERHÖHTER KOSTEN WEITGEHEND ROBUST

Das Wachstum in China, Korea und den Vereinigten Staaten verhalf dem Welthandel im vierten Quartal 2023 trotz der anhaltenden Schwäche in Europa zu einer Erholung. Diese scheint sich auch 2024 fortzusetzen, auch wenn sie nach wie vor fragil und stark von den Vereinigten Staaten und China abhängig ist. Seit Beginn der Angriffe auf Frachtschiffe im Roten Meer ist der Transit von Containerschiffen durch den Suezkanal stark zurückgegangen, die durchschnittliche tägliche Anzahl der Schiffe war zwischen Januar und Mitte April um etwa die Hälfte niedriger als im letzten Quartal 2023. Die Umleitung um das Kap der Guten Hoffnung beeinträchtigt knapp 10 % des weltweiten Seehandels und knapp ein Fünftel des Volumens der Langstreckenschiffe und verlängert die Fahrtzeiten für die betroffene Fracht zwischen Nordeuropa und Asien um etwa 30 %. Die Trockenheit im Panamakanal tat ihr Übriges, um Frachtzeiten und -kosten zu erhöhen. In der Gesamtschau liegen die Frachtkosten zurzeit immer noch etwa 60 % über den Vergleichswerten des Vorjahres, was den Inflationsrückgang verlangsamen dürfte. Allerdings tragen das moderate globale Nachfragewachstum und die laufende Auslieferung neuer Schiffe bisher dazu bei, die Angebotsengpässe in Grenzen zu halten. Die Indikatoren für Lieferkettenengpässe haben sich bisher nur geringfügig verschlechtert und liegen unter dem Niveau von 2021–22.

Vor diesem weiter durchwachsenen, aber nicht (mehr) gänzlich düsteren Hintergrund haben sowohl die OECD (2. Mai) als auch der IWF (16. April) ihre Prognosen für das Weltwirtschaftswachstum leicht nach oben korrigiert: Die OECD erhöhte ihre Prognosen für 2024 und 2025 um je 0,2 PP auf 3,1 bzw. 3,2 %, der IWF revidierte sie für 2024 um 0,1 PP und behielt sie für 2025 unverändert bei, erwartet werden somit für beide Jahre 3,2 %.

ABBILDUNG 4: INFLATION BEI GÜTERN UND DIENSTLEISTUNGEN Bild vergrößern
ABBILDUNG 5: ANSPANNUNG DER LIEFERKETTEN Bild vergrößern

DIE DOMINANZ DER ABWÄRTSRISIKEN SCHWINDET

Wie immer sind diese Prognosen mit verschiedenen Abweichungsrisiken belastet.

Geopolitische Spannungen bergen weiterhin erhebliche kurzfristige Risiken, insbesondere wenn sich die Konflikte im Nahen Osten verschärfen und die Energie- und Finanzmärkte beeinträchtigen sollten. So werden etwa 30 % des weltweiten Ölhandels und 20 % des Flüssiggashandels über die Straße von Hormus transportiert. Selbst kurzzeitige Unterbrechungen des Energiehandels hätten große Auswirkungen, die sich noch verstärken würden, wenn dadurch die Seefrachtkosten weiter stiegen und noch stärker auf die Importpreise durchschlügen. So würde beispielsweise eine Beschädigung von Tankschiffen, die diese Passage nutzen, das ohnehin schon sehr angespannte Angebot auf dem globalen Tankermarkt erheblich stören. Dies würde die Frachtkosten weiter in die Höhe treiben und zu Verzögerungen bei der Ölversorgung führen, selbst wenn Schiffe die Straße von Hormus weiterhin passieren könnten. Die Nutzung wichtiger Drehkreuze im Nahen Osten, die den asiatischen und europäischen Handel miteinander verbinden, könnte ebenfalls beeinträchtigt werden.

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass die Inflationseindämmung langsamer als erwartet voranschreitet. Es könnte beispielsweise zu einem erneuten Anstieg der Energie- oder Lebensmittelpreise kommen, etwa wenn die OPEC+-Länder ihre Produktion kürzen oder wenn extreme Wetterbedingungen oder Konflikte die Versorgung mit wichtigen Lebensmitteln beeinträchtigen. Der Anstieg der Stückkosten könnte sich auch fortsetzen, wenn erwartete Produktivitätsanstiege ausbleiben oder Lohnzuwächse höher als prognostiziert ausfallen. In diesen Fällen bestünde die Gefahr, dass die Inflationserwartungen nach oben driften, was es erschweren würde, die Inflation wieder auf das Zielniveau zurückzuführen. Die Zentralbanken müssten ihre restriktive Geldpolitik länger beibehalten, was eine Schwächung der Nachfrage und Rückgänge der Anleihe- und Aktienkurse bedingen dürfte.

Die Finanzmärkte haben sich zwar bisher als widerstandsfähig gegenüber der geldpolitischen Straffung erwiesen. Es bestehen jedoch nach wie vor Schwachstellen und die Gefahr einer raschen Neubewertung von Vermögenswerten, wenn sich Erwartungen hinsichtlich künftiger Zinssenkungen als zu optimistisch erweisen. Dann dürften Risiko- und Laufzeitprämien steigen, was zu einer deutlichen Korrektur an den Anleihemärkten führen könnte. In Schwellenländern, in denen die Verschuldung des privaten Sektors hoch ist und größtenteils auf Fremdwährungen lautet, könnten Währungsabwertungen zudem zu einem erheblichen Anstieg der Schuldendienstkosten führen. Die Verschuldung von Unternehmen und Privathaushalten ist in den letzten 15 Jahren in einigen Ländern stark angestiegen, wobei der Anteil der Verschuldung in Fremdwährungen insbesondere in den lateinamerikanischen Volkswirtschaften hoch ist. Da mehr als die Hälfte der Unternehmensschulden in den Schwellenländern innerhalb der nächsten drei Jahre fällig werden, würden Umschuldungsrisiken steigen.

Auch wenn die bisherige Entwicklung dies nicht nahelegt, besteht weiterhin das Risiko, dass verzögerte Auswirkungen früherer geldpolitischer Maßnahmen auf Wachstum und Beschäftigung stärker als erwartet ausfallen. Die Überwälzung früherer Leitzinserhöhungen auf die Kreditzinsen der Banken scheint zwar weitgehend abgeschlossen. Allerdings wurde die Übertragung auf die Wirtschaftstätigkeit in einigen Ländern bisher durch Ersparnisse abgefedert, die Haushalte und Unternehmen während der Pandemie angesammelt hatten. In dem Maße, in dem mehr Kreditzinsen neu ausgehandelt oder Schulden fällig und durch neue Kredite ersetzt werden, könnten die Auswirkungen einer strafferen Geldpolitik zunehmend spürbar werden.

Auch wenn sich Chinas Wachstumsrate verlangsamt hat, bedeutet sein zunehmendes Gewicht in der Weltwirtschaft, dass sein Beitrag zum globalen Wachstum groß bleibt. Daher ist der Wachstumsverlauf in China ein zentrales Risiko für die Projektionen des globalen Wachstums: Der OECD zufolge beträgt für jeden Prozentpunkt, um den das chinesische BIP-Wachstum hinter den Projektionen zurückbleibt, die direkte Auswirkung auf das globale Wachstum etwa 0,2 Prozentpunkte. Allerdings gilt die Bedeutung Chinas auch in umgekehrter Richtung. Positive Überraschungen dort könnten globale Wachstumsimpulse erzeugen.

Gleichsam könnte ein erneuter Abwärtstrend bei wichtigen Rohstoffpreisen, insbesondere im Energiesektor, zu einem schnelleren Inflationsabbau führen als prognostiziert. Die bisherigen Produktionskürzungen der OPEC+ haben den Rückgang der Ölpreise nur aufgehalten und ein Zusammenbruch der Kartelldisziplin, eine Änderung der Haltung des Swing-Produzenten Saudi-Arabien oder ein unerwarteter Anstieg der Nicht-OPEC+-Produktion (insbesondere in den Vereinigten Staaten und Brasilien) könnte die Ölpreise senken.

Mittelfristig könnte künstliche Intelligenz die Produktivität steigern, zunächst wohl eher in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. In Schwellen- und Entwicklungsländern könnten angebotsorientierte Reformen die Investitionen und die Produktivität höher als erwartet ausfallen lassen.

Auch wenn Abwärtsrisiken quantitativ weiterhin die Aufzählung dominieren, so scheint sich sowohl bei der OECD als auch beim IWF eine optimistischere Sicht den Weg zu bahnen: Die klare Dominanz der Abwärtsrisiken scheint gebrochen und mögliche Abweichungen nach oben wurden in den jüngsten Publikationen und den begleitenden Pressekonferenzen deutlicher artikuliert – dass die Entwicklung besser wird als erwartet, scheint zumindest wieder denkbar.

REGIONALE PERSPEKTIVEN

Die USA verzeichneten im Jahr 2023 ein starkes Wachstum, das sich im Jahresverlauf relativ robust fortsetzen dürfte. Das Haushaltsdefizit dürfte hoch bleiben, aber leicht zurückgehen. Die Kerninflation geht im Jahresvergleich weiter zurück, wenn auch in bescheidenem Tempo. Es wird trotz gegenwärtig stabilem Zinsniveau erwartet, dass eine mögliche geldpolitische Lockerung in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 beginnen könnte. Zu den Abwärtsrisiken gehören längere Verzögerungen bei den erwarteten Leitzinssenkungen und die Verhängung zusätzlicher Handelsbeschränkungen. Zu den Aufwärtsrisiken gehört die unerwartet starke Beschäftigungsentwicklung, die die Ausgaben der privaten Haushalte ankurbelt. Die OECD erwartet ein reales BIP-Wachstum von 2,6 % im Jahr 2024 und 1,8 % im Jahr 2025. Der IWF geht davon aus, dass das Wachstum 2024 auf 2,7 % ansteigen wird, bevor es sich 2025 auf 1,9 % verlangsamt, da die allmähliche Straffung der Finanzpolitik und weniger starke Lohn- und Beschäftigungsentwicklungen die Gesamtnachfrage bremsen. Das nördliche Nachbarland verzeichnet eine tendenziell gegenläufige Entwicklung: In Kanada wuchs die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2023 kaum, die Unternehmensinvestitionen waren zum Jahresende besonders schwach. Die monatlichen BIP-Schätzungen für die Industrie deuten jedoch auf ein starkes Wachstum im Januar und Februar hin, was teilweise auf das Ende eines Streiks der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Québec zurückzuführen ist. Die OECD geht davon aus, dass sich das Wachstum von 1 % in 2024 auf 1,8 % in 2025 beschleunigen wird, was auf die Verbesserung der globalen Bedingungen, die Ankurbelung der privaten Ausgaben, das durch Zuwanderung erhöhte Arbeitskräfteangebot sowie auf die Lockerung der Geldpolitik zurückgeführt wird. Dennoch wird das Wachstum unter dem Trend bleiben. Der IWF rechnet mit 1,2 % im Jahr 2024 und 2,3 % im Jahr 2025.

In Europa bewegt sich die Konjunktur seit über einem Jahr effektiv seitwärts. Jüngere Daten deuten allerdings auf einen milden Aufschwung hin. Im 1. Quartal wuchs das BIP in EU und Eurozone überraschend (+0,3 %, vorl.), auch in Deutschland wuchs es leicht (+0,2 %), Frankreich (+0,2 %) und Italien (+0,3 %) ebenso. Spanien verzeichnet sogar +0,7 %. Für die Eurozone betrug die Inflation insgesamt zuletzt 2,4 %, die Bandbreite geht von 0,4 % in Litauen bis 4,9 % in Belgien. Der Arbeitsmarkt bleibt robust, die Arbeitslosenquote betrug in der EU zuletzt 6 %, in der Eurozone 6,5 %, in Deutschland 3,2 %, in Frankreich 7,3 %, in Italien 7,2 % und in Spanien 11,7 %. Der private Konsum dürfte von Lohnerhöhungen auf den angespannten Arbeitsmärkten und steigenden Realeinkommen bei zurückgehender Inflation gestützt werden. Die Investitionen dürften von einer allmählichen Lockerung der Kreditkonditionen und der laufenden Auszahlung von Mitteln aus der Aufbau- und Resilienzfazilität profitieren. Somit stehen die Zeichen auf leichte Erholung, wenn auch die vergangenen Schocks und die restriktive Geldpolitik weiter nachwirken: Die EU-Kommission erwartet in ihrer jüngsten Prognose (vom 15.05.24) für 2024 ein BIP-Wachstum von 1,0 % in der EU, 0,8 % in der Eurozone, 0,1 % in Deutschland, 0,7 % in Frankreich, 0,9 % in Italien und 2,1 % in Spanien. 2025 erwartet KOM 1,6 % Wachstum in der EU, 1,4 % in der Eurozone, 1,0 % in Deutschland, 1,3 % in Frankreich, 1,1 % in Italien und 1,9 % in Spanien. Die OECD geht davon aus, dass das Wachstum im Euroraum mit 0,7 % im Jahr 2024 schwach bleiben und 2025 auf 1,5 % ansteigen wird, wenn sich die Binnennachfrage erholt. Ähnlich geht der IWF davon aus, dass sich das Wachstum auf 0,8 % im Jahr 2024 und 1,5 % im Jahr 2025 erholen wird.

Im Vereinigten Königreich lassen die konjunkturbremsenden Effekte der kontraktiven Geldpolitik langsam nach. Ein robustes Reallohnwachstum dürfte die Wirtschaftstätigkeit in der ersten Jahreshälfte 2024 stützen. Die erwartete geldpolitische Lockerung dürfte die privaten Ausgaben beleben, einschließlich eines bescheidenen Anstiegs der Investitionen der privaten Haushalte, da sich das Hypothekenvolumen zu erholen beginnt. Die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher wird jedoch weiterhin durch die hartnäckige Preisinflation bei den Dienstleistungen und die fiskalische Belastung reduziert. Die schwache Auslandsnachfrage dürfte das Handelswachstum einschränken, und politische Unsicherheit die Unternehmensinvestitionen hemmen. Die OECD erwartet ein BIP-Wachstum von 0,4 % im Jahr 2024 und 1,0 % im Jahr 2025. Auch der IWF rechnet mit einem Anstieg von 0,5 % im Jahr 2024, wenn die verzögerten negativen Auswirkungen der hohen Energiepreise nachlassen, und dann auf 1,5 % im Jahr 2025, wenn die Desinflation eine Lockerung der finanziellen Bedingungen und eine Erholung der Realeinkommen ermöglicht.

In Japan kam es Anfang 2024 zu einem vorübergehenden Rückgang der Industrieproduktion und der Exporte aufgrund von Lieferengpässen im Zusammenhang mit Betrugsfällen in der Fahrzeugindustrie. Unterstützt durch hohe Unternehmensgewinne ziehen die Investitionen jedoch an und Unternehmensumfragen deuten auf robuste zukünftige Investitionspläne hin. Auch staatliche Subventionen für umweltfreundliche und digitale Investitionen dürften die Investitionen trotz möglicher Angebotsengpässe ankurbeln. Stagnierende Warenexporte sind teilweise der schwächeren Nachfrage aus Asien und dem Euroraum geschuldet. Die Dienstleistungsexporte profitieren davon, dass die Zahl der einreisenden Touristen das Niveau von vor der Pandemie überschritten hat. Der private Konsum dürfte durch Lohnwachstum und steuerliche Maßnahmen gestützt werden. Die Gesamtinflation dürfte sich abschwächen, da sich die Preise für importierte Energie und Lebensmittel stabilisieren. Die jüngste geldpolitische Entscheidung der Zentralbank, die Ära der Negativzinsen zu beenden, ordnet die OECD als angemessen ein und erwartet, dass das BIP-Wachstum im Jahr 2024 auf 0,5 % sinken wird, bevor es sich im Jahr 2025 auf 1,1 % erhöht. Auch der IWF rechnet mit einer Verlangsamung von 1,9 % im Jahr 2023 auf 0,9 % im Jahr 2024 und 1 % im Jahr 2025, da die einmaligen Faktoren, die das Wachstum im Jahr 2023 gestützt haben, einschließlich eines starken Anstiegs des Tourismus, nachlassen.

In China setzt sich die Anpassung im Immobiliensektor fort, da die Bauvorhaben weiterhin rückläufig sind. Die Investitionen in die Infrastruktur und das Verarbeitende Gewerbe nehmen dagegen moderat, aber stetig zu. Das Konsumwachstum dürfte auf niedrigem Niveau stabil bleiben und sich kaum beschleunigen, solange das Ausbleiben von Sozialversicherungsreformen das Vorsorgesparen auf hohem Niveau hält. Die Exporte dürften wieder anziehen, da sich die weltweite Nachfrage erholt und chinesische Produzenten weitere technologische Kompetenzen und Wettbewerbsvorteile erlangen. Die Verbraucherpreisinflation dürfte weiterhin sehr niedrig bleiben, und die Erzeugerpreise dürften weiter sinken. Die Abschaffung der Untergrenze für Hypothekenzinsen in Städten mit schwacher Immobilienpreisentwicklung in letzter Zeit dürfte zur Stabilisierung des Immobiliensektors beitragen, die Fiskalpolitik durch die Ausgabe zusätzlicher Anleihen mit sehr langer Laufzeit für vorrangige Projekte unterstützend wirken. Die OECD erwartet eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums auf 4,9 % im Jahr 2024 und 4,5 % im Jahr 2025. Der IWF geht von einer Verlangsamung auf 4,6 % im Jahr 2024 und 4,1 % im Jahr 2025 aus, wenn die positiven Auswirkungen einmaliger Faktoren – einschließlich der postpandemischen Ankurbelung des Verbrauchs und der steuerlichen Anreize – nachlassen und die Schwäche des Immobiliensektors fortbesteht.

In Indien hält die Zentralbank an ihrem mittelfristigen Inflationsziel von 4 % innerhalb einer Bandbreite von +/- 2 % fest und bemüht sich gleichzeitig, das Wachstum zu unterstützen. Unter der Annahme einer normalen Monsunzeit und keiner anderen Angebotsschocks, die die Inflationserwartungen beeinträchtigen könnten, rechnet die OECD mit einer ersten Senkung des Leitzinses Ende 2024 und einer neutralen geldpolitischen Ausrichtung im Laufe des Jahres 2025. Die notwendige fiskalische Konsolidierung dürfte die bislang hohen öffentlichen Investitionen belasten. Dies dürfte nur teilweise durch stärkere private Investitionen ausgeglichen werden. Der Konsum der privaten Haushalte dürfte sich angesichts der schwachen Entwicklung auf den Arbeitsmärkten und in den ländlichen Gebieten sowie der nach wie vor angespannten Finanzierungsbedingungen nicht beschleunigen. Die stärkere Auslandsnachfrage dürfte jedoch das Exportwachstum stärken. Die OECD rechnet mit einem BIP-Wachstum von 7,8 % im Haushaltsjahr 2023–24 und etwa 6 1⁄2 % in jedem der beiden folgenden Haushaltsjahre. Auch der IWF geht davon aus, dass das Wachstum in Indien mit 6,8 Prozent im Jahr 2024 und 6,5 Prozent im Jahr 2025 stark bleiben wird, wobei die Robustheit mit der anhaltenden Stärke der Inlandsnachfrage und der wachsenden Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter begründet wird.

Für die Region Lateinamerika und Karibik prognostiziert der IWF einen Rückgang des Wachstums von 2,3 % im Jahr 2023 auf 2,0 % im Jahr 2024, bevor es 2025 wieder auf 2,5 % ansteigt. Dies bedeutet eine Aufwärtskorrektur von 0,1 Prozentpunkten für 2024 seit Januar. Für Mexiko prognostiziert der IWF ein Wachstum von 2,4 % im Jahr 2024, unterstützt durch eine fiskalische Expansion, bevor es 2025 auf 1,4 % zurückgeht, da die Regierung den fiskalischen Kurs wieder straffen dürfte. Die Prognose wurde nach unten korrigiert, da die Ergebnisse für Ende 2023 und Anfang 2024 schwächer als erwartet ausfielen und ein Rückgang im Verarbeitenden Gewerbe zu verzeichnen war. Die OECD geht davon aus, dass die mexikanische Wirtschaft im Jahr 2024 um 2,2 % und im Jahr 2025 um 2,0 % wachsen wird. Der Konsum würde durch einen starken Arbeitsmarkt, die Investitionen durch öffentliche Infrastrukturprojekte im Jahr 2024 und durch die allmähliche Verlagerung von Produktionstätigkeiten nach Mexiko („near-shoring“) gestützt. Die Exporte dürften das Wachstum im Jahr 2025 stützen, nachdem sie 2024 aufgrund der Konjunkturabschwächung in den Vereinigten Staaten etwas an Dynamik verlieren. Die Inflation dürfte weiter allmählich auf 3,1 % im Jahr 2025 sinken. Für Brasilien rechnet der IWF mit einem moderaten Wachstum von 2,2 % im Jahr 2024 und 2,1 % im Jahr 2025, was auf die Haushaltskonsolidierung, die verzögerten Auswirkungen der immer noch restriktiven Geldpolitik und einen geringeren Beitrag der Landwirtschaft zurückgeführt wird. Die OECD erwartet ein Wachstum von 1,9 % im Jahr 2024 und 2,1 % im Jahr 2025. Getragen von robustem Beschäftigungswachstum, Mindestlohnerhöhungen und einer rückläufigen Inflation dürften die Ausgaben der privaten Haushalte der wichtigste Wachstumsmotor sein. Für Argentinien prognostizieren sowohl der IWF als auch die OECD eine Schrumpfung im Jahr 2024 und einen Aufschwung im Jahr 2025. Es wird davon ausgegangen, dass die hohe Inflation, eine beträchtliche, aber notwendige Haushaltsanpassung sowie die politische Unsicherheit den privaten Verbrauch und die Investitionen während des Jahres 2024 stark belasten. Die allmähliche Aufhebung von Einfuhrbeschränkungen und Devisenkontrollen dürfte schließlich die Erholung der Inlandsnachfrage fördern, insbesondere im nächsten Jahr. Die OECD erwartet, dass das BIP im Jahr 2024 um 3,3 % schrumpft, bevor es 2025 um 2,7 % wächst. Der IWF erwartet eine geringere Schrumpfung (-2,8 %) und einen stärkeren Aufschwung (5 %).

Für die afrikanischen Länder südlich der Sahara geht der IWF davon aus, dass das Wachstum von geschätzten 3,4 % im Jahr 2023 auf 3,8% im Jahr 2024 und 4% im Jahr 2025 ansteigen wird, da die negativen Auswirkungen früherer Wetterschocks abklingen und sich die Versorgungslage allmählich verbessert. Die Prognose für 2024 ist gegenüber dem Januar unverändert, da eine Abwärtskorrektur für Angola aufgrund einer Schrumpfung des Ölsektors durch eine Aufwärtskorrektur für Nigeria weitgehend ausgeglichen wurde. Für Südafrika gibt die OECD an, dass Energieengpässe und Engpässe im Hafen- und Schienengüterverkehr die inländische Wirtschaftstätigkeit und die Exporte eingeschränkt haben sowie die Investitionen und das Vertrauen der Unternehmen gedämpft bleiben. Da die Versorgungsengpässe durch weniger Stromausfälle und weniger Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur sowie durch niedrigere Kreditzinsen abnehmen, wird ein leichter Anstieg der Investitionen erwartet. Sinkende Energie- und Lebensmittelpreise dürften einen weiteren Rückgang der Inflation ermöglichen, steigende Kaufkraft, Reallöhne und Beschäftigung dann einen allmählichen Anstieg des Konsums unterstützen. So erwartet die OECD ein Wachstum des BIP um 1% im Jahr 2024 und um 1,4% im Jahr 2025.

Die jüngsten Einschätzungen zur Entwicklung der Weltwirtschaft und ihrer regionalen Komponenten seitens IWF (16.4.) und OECD (2.5.) sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Zudem sind die Korrekturen gegenüber den jeweils vorhergehenden Prognosen dargestellt.

TABELLE 1: ÜBERSICHT ÜBER WACHSTUMSPROGNOSEN UND DEREN REVISION Bild vergrößern