Grafik zum Artikel "Bundesregierung beschließt erstmals Gleichwertigkeits­bericht"

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Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands sind eine wesentliche Grundlage für eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung, Chancengerechtigkeit und faire Teilhabemöglichkeiten. Deswegen ist es ein übergeordnetes Ziel der Bundesregierung, überall in Deutschland für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen und dabei gleichzeitig die regionale Vielfalt zu wahren.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung am 3. Juli 2024 erstmalig einen Gleichwertigkeitsbericht vorgelegt. Der Bericht mit dem Titel „Für starke und lebenswerte Regionen in Deutschland“ wurde unter gemeinsamer Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) erarbeitet.

Gleichwertigkeitsbericht liefert Bestandsaufnahme anhand von Indikatoren

Die Bundesrepublik Deutschland steht für eine große regionale Vielfalt, die sich als Triebfeder für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes erwiesen hat und es gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, ihr Leben maßgeblich an den eigenen individuellen Vorstellungen und Wünschen auszurichten. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich allerdings zunehmend gezeigt, dass sich Globalisierung und Digitalisierung ebenso wie der demografische Wandel und der Übergang hin zu Klimaneutralität unterschiedlich auf Einflussfaktoren der Lebensbedingungen vor Ort auswirken können.

Ein Ziel des Gleichwertigkeitsberichts besteht darin, den Stand und die Entwicklung der Lebensverhältnisse auf regionaler Ebene nachzuzeichnen. Hierzu enthält der Bericht auf Grundlage eines vom BMWK beauftragten Forschungsgutachtens zahlreiche Indikatoren auf Ebene der 400 Stadt- und Landkreise. Die betrachteten Indikatoren umfassen vielfältige Aspekte gleichwertiger Lebensverhältnisse und sind den vier Dimensionen „Wirtschaft“, „Gesellschaft“, „Infrastruktur und Daseinsvorsorge“ sowie „Klima und Umwelt“ zugeordnet.

Im Gleichwertigkeitsbericht werden die Indikatoren auf der Grundlage von detaillierten Abbildungen umfassend erläutert. Abbildung 1 zeigt dies beispielhaft für den Indikator „Stand und Entwicklung des regionalen Bruttoinlandsprodukts (je erwerbstätiger Person)“. In der Deutschlandkarte (oben links) werden die regionalen Unterschiede sichtbar: In den rot dargestellten Kreisen liegt der Wert unter dem deutschlandweiten Mittelwert, in den blau dargestellten Kreisen über dem Durchschnitt. Die rechte Spalte der Tabelle mit den Kennziffern für 2012 und 2021 (oben rechts) zeigt die Entwicklung in diesem Zeitraum. Dabei wird zwischen Kreisen mit höherem Bruttoinlandsprodukt pro erwerbstätiger Person, also mit höherer Wirtschaftskraft, und Kreisen mit niedrigerem Bruttoinlandsprodukt pro erwerbstätiger Person, also mit niedrigerer Wirtschaftskraft, unterschieden. Deutlich wird hier der Aufholprozess der Regionen mit der geringsten Wirtschaftskraft („Untere 10 %“): Diese konnten das regionale Bruttoinlandsprodukt je erwerbstätiger Person in dem genannten Zeitraum um 30 % steigern, die Regionen mit der höchsten Wirtschaftskraft („Obere 10 %“) „lediglich“ um 22 %. Die Verteilung nach Kreisen (Mitte rechts) zeigt die Streuung der Wirtschaftskraft zwischen den Kreisen im Jahr 2021. Die Unterscheidung nach siedlungsstrukturellen Kreistypen (unten) stellt gegenüber, welche Entwicklungen es in ländlichen und städtischen Regionen gab. Hier zeigt sich, dass das Bruttoinlandsprodukt je erwerbstätiger Person zwischen 2012 und 2021 in dünn besiedelten Regionen mit 28 % stärker zugenommen hat als in Großstädten (21 %).

ABBILDUNG 1: STAND UND ENTWICKLUNG DES REGIONALEN BRUTTOINLANDSPRODUKTS JE ERWERBSTÄTIGER PERSON Bild vergrößern

Regionale Unterschiede haben zuletzt mehrheitlich abgenommen

Die im Gleichwertigkeitsbericht dargestellten Analysen verdeutlichen, dass zwischen den einzelnen Stadt- und Landkreisen je nach betrachtetem Indikator unterschiedlich stark ausgeprägte regionale Ungleichheiten bestehen. Zugleich belegen sie, dass diese Unterschiede in den letzten Jahren mehrheitlich abgenommen haben. Eine Verringerung der regionalen Unterschiede zeigt sich beispielsweise bei wirtschaftlichen Indikatoren nicht nur bei der Wirtschaftskraft, sondern auch bei den mittleren Arbeitseinkommen, der lokalen Steuerkraft und den Arbeitslosenquoten. Eine Verringerung der Unterschiede zwischen den Regionen lässt sich auch bei gesellschaftlichen Indikatoren wie der Geburtenrate und der Lebenserwartung sowie bei ökologischen Indikatoren wie der Feinstaubbelastung beobachten. Bei einzelnen Indikatoren wie den Baulandpreisen und dem Altenquotient, der die Anzahl der Menschen über 65 Jahre ins Verhältnis zur Anzahl der Menschen von 20 bis 65 Jahre setzt, haben die regionalen Unterschiede dagegen zuletzt zugenommen.

Auch in Zukunft Herausforderungen für eine ausgewogene Regionalentwicklung in Deutschland

Trotz dieser insgesamt positiven Entwicklungen bestehen weiterhin Herausforderungen für eine räumlich ausgewogene wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland. Besonders deutlich wird das an der voraussichtlichen Bevölkerungsentwicklung bis 2045, die in regionaler Hinsicht sehr unterschiedlich verlaufen wird. Gemäß der Bevölkerungsprognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) von Juni

2024 sinkt die Bevölkerung in den strukturschwächeren Kreisen im Zeitraum von 2021 bis 2045 zum Teil um weit mehr als 10 %, während für Deutschland insgesamt eine leichte Bevölkerungszunahme erwartet wird.

Abbildung 2 zeigt die prognostizierte regionale Bevölkerungsentwicklung auf Kreisebene bis 2045. Die Bevölkerung in den rot markierten Kreisen wird unterdurchschnittlich stark wachsen bzw. in den meisten Fällen (und zum Teil deutlich) schrumpfen. Die Bevölkerung in den blau markierten Kreisen wird hingegen überdurchschnittlich wachsen. Das prognostizierte durchschnittliche prozentuale Wachstum in Deutschland bis 2045 liegt bei 0,9 %.

ABBILDUNG 2: PROGNOSTIZIERTE REGIONALE BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG IM ZEITRAUM 2021 BIS 2045 AUF KREISEBENE, VERÄNDERUNG IN PROZENT Bild vergrößern

Bevölkerungsumfrage ermöglicht Perspektive der Bürgerinnen und Bürger auf Lebensbedingungen vor Ort

Ergänzend zur Indikatorenanalyse wurde für den Bericht mit Hilfe einer eigens hierfür durchgeführten Bevölkerungsumfrage auf Kreisebene auch die subjektive Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger zu den Lebensbedingungen vor Ort ermittelt. Dadurch konnten objektive Daten und subjektive Einschätzungen gegenübergestellt und gemeinsam analysiert werden.

Die Umfrage, die in dieser Art erstmals durchgeführt wurde und an der sich über 30.000 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, enthielt allgemeine Fragen zur Lebens- und Wohnortzufriedenheit sowie spezifischere Fragen zu einzelnen Themen wie wirtschaftliche Entwicklung, Infrastruktur, Umwelt und Natur sowie gesellschaftliches Leben.

Die Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage belegen, dass die Menschen in Deutschland weit überwiegend mit ihrem Leben insgesamt und mit ihrer Wohnsituation eher oder sogar sehr zufrieden sind. Dabei besteht jeweils eine hohe positive Wechselbeziehung insbesondere mit steigendem Alter und dem Haushaltsnettoeinkommen (siehe zu den Ergebnissen der Frage zur allgemeinen Lebenszufriedenheit den Beitrag in der August-Ausgabe 2024 der Schlaglichter der Wirtschaftspolitik). Gleichzeitig wird deutlich, dass auch aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger zum Teil erhebliche regionale Unterschiede bestehen in Bezug auf einzelne Aspekte der Lebensbedingungen oder auch die Zukunftserwartungen.

Abbildung 3 zeigt beispielhaft regionale Unterschiede bei der Zufriedenheit mit dem Angebot des öffentlichen Nahverkehrs. Insgesamt sind 44 % der Befragten der Ansicht, dass der öffentliche Nahverkehr in ihrem Ort attraktive Verbindungen bietet. In 81 % der Kreise, die dünn besiedelt sind, erhält die Aussage, dass der öffentliche Nahverkehr im Ort attraktive Verbindungen bietet, jedoch erwartungsgemäß unterdurchschnittliche Zustimmungswerte, während sie im überwiegenden Teil der Großstädte (85 %) überdurchschnittliche Zustimmung erfährt.

Neben der Bevölkerungsumfrage wurde eine Reihe von Fokusgruppengesprächen mit Akteuren aus verschiedenen Regionen durchgeführt. Zentrale Ergebnisse aus den Gesprächen werden ebenfalls im Bericht vorgestellt. Die Teilnehmenden regten unter anderem an, regionalpolitische Fördermaßnahmen möglichst einfach zu gestalten.

ABBILDUNG 3: ZUSTIMMUNG ZUR AUSSAGE „DER ÖFFENTLICHE NAHVERKEHR BIETET IN MEINEM ORT ATTRAKTIVE VERBINDUNGEN“ Bild vergrößern

Maßnahmenübersicht zeigt: Gleichwertigkeitspolitik ist vielfältig und wirkungsvoll

Der Gleichwertigkeitsbericht enthält darüber hinaus einen systematischen Überblick über Maßnahmen, Programme und Initiativen der Bundesregierung, die zur Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland beitragen sollen. Im Mittelpunkt steht dabei die Darstellung des 2020 eingerichteten „Gesamtdeutschen Fördersystems für strukturschwache Regionen“ (GFS), dem ressortübergreifenden Herzstück der Gleichwertigkeitspolitik der Bundesregierung. Aber auch jenseits des GFS wirken sich zahlreiche bundespolitische Maßnahmen angleichend auf die regionalen Lebensverhältnisse aus.

Bericht zeigt, wo Fördermittel des GFS hinfließen

Im Jahr 2022 hatte das GFS bundesweit über alle Programme hinweg (ohne Bürgschafts- und Kreditprogramme) ein Fördervolumen von 4,2 Milliarden Euro. Der Gleichwertigkeitsbericht macht erstmalig seit Einführung des GFS transparent, wie sich die Fördermittel im Bundesgebiet regional verteilen.

Abbildung 4 zeigt die erhaltenen Fördermittel in Relation zur Einwohnerzahl auf Kreisebene und veranschaulicht so, wohin die Mittel fließen. Es zeigt sich, dass alle Stadt- und Landkreise GFS-Fördermittel erhalten. Allerdings werden die GFS-Mittel wie vorgesehen vor allem dort eingesetzt, wo der strukturpolitische Handlungsbedarf am größten ist: Im Jahr 2022 sind etwas mehr als die Hälfte der GFS-Mittel in die ostdeutschen Kreise geflossen, die weiterhin flächendeckend als strukturschwach gelten, aber auch zahlreiche westdeutsche strukturschwache Regionen – etwa in Norddeutschland, im Ruhrgebiet, in Rheinland-Pfalz, im Saarland und entlang der bayerischen Grenze zur Tschechischen Republik – haben pro Kopf bedeutende Fördersummen erhalten.

Kasten 1: Das Gesamtdeutsche Fördersystem

Das GFS bündelt seit dem Jahr 2020 bedeutende regionalwirksame Förderprogramme des Bundes beziehungsweise gemeinsame Förderprogramme des Bundes und der Länder.

Ziel des GFS ist es, die Standortbedingungen in strukturschwachen Regionen zu verbessern und so zur Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse beizutragen. Die im GFS enthaltenen Programme adressieren entweder explizit nur strukturschwache Regionen oder tragen durch bessere Förderkonditionen oder einen überproportionalen Mitteleinsatz für strukturschwache Regionen zu deren Stärkung bei.

Die räumliche Abgrenzung von Strukturschwäche im GFS folgt der Definition in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Das GRW-Fördergebiet basiert auf den vier Teilindikatoren Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, durchschnittliche Unterbeschäftigungsquote, Entwicklung der Zahl der Erwerbsfähigen von 2017 bis 2040 und einem Infrastrukturindikator.

Evaluation des GFS belegt Wirksamkeit und identifiziert Verbesserungspotenziale

Neben der Mittelverteilung nimmt der Bericht auch die Wirkung der regionalpolitischen Maßnahmen des Bundes in den Fokus. Grundlage für beides bildet ein Gutachten zur Evaluation und Analyse der Raumwirksamkeit des GFS. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass die GFS-Programme unter anderem die Wirtschaftskraft, das Beschäftigungsniveau, die Löhne, die Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung sowie die Breitbandverfügbarkeit stärken und zusätzlich den Wanderungssaldo (d. h. durch die Förderung begünstigte, positive Bevölkerungsentwicklung) in den Regionen verbessern. Gleichzeitig wird deutlich, dass beim GFS in Bezug auf Transparenz, Ausrichtung und Effizienz noch Verbesserungspotenzial besteht. Dies bestätigen auch die qualitativen Ergebnisse der im Zusammenhang mit dem Gleichwertigkeitsbericht durchgeführten Fokusgruppengespräche. Erkenntnisse aus den Analysen des Berichts und den externen Forschungsgutachten werden in die geplante Weiterentwicklung des GFS einfließen.

ABBILDUNG 4: RÄUMLICHE MITTELVERTEILUNG DES GFS (2022, IN EURO JE EINWOHNERIN BZW. EINWOHNER) Bild vergrößern

Öffentliche Konsultation als Teil des Folgeprozesses ist bereits gestartet – Teilnahme bis Anfang September möglich

Der Bericht enthält abschließend auch eine Reihe von Ansatzpunkten, wie die Lebensbedingungen vor Ort weiter verbessert werden können. Hierzu zählen beispielsweise die Weiterentwicklung des GFS, eine bessere Verzahnung regionalpolitischer Maßnahmen, eine weitere Verbesserung der Datengrundlage und Stärkung des Monitorings regionalwirksamer Förderprogramme und ein verstärkter Austausch mit den Kommunen. Auch soll der Gleichwertigkeits-Check bei neuen Gesetzen konsequent angewendet werden und Behördenarbeitsplätze sollen dezentral angesiedelt werden.

Anknüpfend an die im Bericht genannten Ansatzpunkte soll die Gleichwertigkeitspolitik des Bundes weiterentwickelt werden. Unmittelbar nach Beschluss und Veröffentlichung des Gleichwertigkeitsberichtes ist dazu ein Folgeprozess gestartet. Im Rahmen dieses Folgeprozesses wird aktuell eine öffentliche Onlinekonsultation durchgeführt. Die Teilnahme ist noch bis zum 12. September 2024 möglich.

Zusätzlich werden in den kommenden Monaten Dialog- und Stakeholderformate durchgeführt, in denen sich die Teilnehmenden mit den Inhalten des Berichts auseinandersetzen können. In diesem Kontext sind auch drei Dialogwerkstätten mit etwa 15–20 Bürgerinnen und Bürgern in drei exemplarischen Regionen geplant. Ziel aller Dialogformate und der offenen Konsultation ist es, Ideen und Vorschläge zur Stärkung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse aufzunehmen und Impulse zur Weiterentwicklung der Gleichwertigkeitspolitik zu erhalten.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Referat: ID1 – Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik, Gemeinschaftsaufgabe (GRW), Gesamtdeutsches Fördersystem

schlaglichter@bmwk.bund.de

Gleichwertigkeitsbericht 2024: www.bmwk.de/gleichwertigkeitsbericht-der-bundesregierung-2024

Konsultation (Teilnahme möglich bis zum 12.09.2024): www.konsultation.bmwk.de/gleichwertige-lebensverhältnisse

Fragebogen der Konsultation: www.bmwk.de/fragebogen-gleichwertige-lebensverhaeltnisse