Titelbild zum Artikel "Europa wächst weiter: Der EU-Erweiterungsprozess und die aktuellen Beitrittskandidaten"

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Die geopolitischen Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, wie wichtig ein geeintes und gestärktes Europa ist, um den Frieden langfristig zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist die EU-Erweiterungspolitik wieder eine europäische Priorität geworden. Denn der Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union (EU) ist eine geostrategische Investition in Frieden, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand für Europa.

Seit ihrer Gründung in den 1950ger Jahren hat sich die EU kontinuierlich vergrößert. Bisher gab es sieben Erweiterungsrunden. Die größte fand am 1. Mai 2004 statt, als zehn Länder der EU beitraten: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Seit Ausbruch des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 sind zu den sieben (potenziellen) Beitrittskandidaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Türkei und Kosovo die Länder Ukraine, Moldau und Georgien hinzugekommen.

Doch wie genau funktioniert der EU-Beitritt eigentlich und welche Voraussetzungen muss ein Land erfüllen, um Mitglied der EU zu werden?

Die Grundvoraussetzungen

Jedes europäische Land, das die demokratischen Werte der EU achtet, kann die Mitgliedschaft in der EU beantragen. Um der EU beitreten zu können, muss ein Land die sogenannten „Kopenhagener Kriterien“ erfüllen. Dazu gehören stabile Institutionen, die Garantie von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, eine funktionierende Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, die aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen und zu erfüllen. Diese Kriterien müssen von allen Staaten erfüllt werden.

Der Ablauf des EU-Beitrittsverfahrens

Der EU-Beitritt basiert auf fairen und strengen Bedingungen sowie dem Prinzip der eigenen Leistungen der Kandidatenländer. Zunächst muss ein Land, das der EU beitreten will, beim Rat der Europäischen Union einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Dann prüft die Europäische Kommission, ob das Land in der Lage ist, die Beitrittskriterien zu erfüllen, und gibt anschließend eine Stellungnahme ab. Die Kommission kann entweder den Kandidatenstatus verleihen oder Vorgaben machen, die das Land zuvor noch erfüllen muss. Anhand der Empfehlungen der Kommission entscheidet der Rat, ob das Land den Beitrittskandidatenstatus erhält und Verhandlungen über seinen Beitritt aufgenommen werden. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen damit einverstanden sein. Ab Verleihung des Status des Beitrittskandidaten prüft die Kommission, ob das Land Fortschritte bei seinen Reformen erzielt. Dies wird in jährlichen Fortschrittsberichten dokumentiert.

Im Anschluss starten die Beitrittsverhandlungen, die in 35 Kapitel unterteilt sind und verschiedene Bereiche wie Justiz, Umwelt, Wirtschaft und Menschenrechte abdecken. Die Verhandlungen werden zwischen den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und der Regierung des jeweiligen Beitrittskandidaten geführt, den sogenannten Regierungskonferenzen. Jedes Kapitel wird einzeln verhandelt und muss von allen EU-Mitgliedstaaten gebilligt werden. Das Bewerberland bereitet sich nun auf die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften und -normen (sogenannten „EU- Acquis“) vor. Die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel erfordert die einstimmige Entscheidung des Rates. Dabei müssen die Beitrittskandidaten zunächst Fortschritte bei den grundlegenden Beitrittsvoraussetzungen wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erreichen. Nach Abschluss der Verhandlungen gibt die Kommission eine Einschätzung ab, ob das Bewerberland reif für den Beitritt ist. Ist es nach der Ansicht der Kommission bereit, wird ein Beitrittsvertrag ausgearbeitet. Der Vertrag enthält die Bedingungen für die EU-Mitgliedschaft des Landes. Die Kommission, der Rat und das Parlament müssen dem Beitrittsvertrag zustimmen, bevor er von allen EU-Mitgliedstaaten und dem Bewerberland unterzeichnet und ratifiziert werden kann.

Die aktuelle Situation der Beitrittskandidaten und Ausblick

Im Herbst 2024 wird das nächste Erweiterungspaket der EU erwartet, in dem die Fortschritte der Beitrittskandidaten beurteilt werden. Seit Aufnahme der drei neuen Beitrittskandidaten Ukraine, Moldau und Georgien ist Bewegung in den EU-Erweiterungsprozess gekommen. Der Europäische Rat beschloss im Dezember 2023 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Moldau und der Ukraine, die ersten Regierungskonferenzen fanden im Juni 2024 statt. Georgien hat im Dezember 2023 den Kandidatenstatus verliehen bekommen in dem Verständnis, dass noch weitere Reformen erfüllt werden müssen. Jedoch haben die aktuellen politischen Entwicklungen in Georgien seit dem Frühjahr 2024 („Transparenz“-Gesetz, LGBTIQ-Gesetzgebung und Anti-EU-Rhetorik) zu einem De-facto-Stillstand des Beitrittsprozesses seit Ende Juni 2024 geführt. Sowohl in Georgien als auch in Moldau werden die in diesem Jahr anstehenden Wahlen am 20.10. (Moldau) sowie am 26.10. (Georgien) entscheidend für den weiteren politischen Kurs hin zu einem zukünftigen EU-Beitritt sein. Das schnelle Voranschreiten der neuen Beitrittskandidaten Ukraine und Moldau sorgt teilweise auch für Unmut auf dem Westbalkan. Die Länder des westlichen Balkans befinden sich an unterschiedlichen Stellen im Beitrittsprozess. Insgesamt ist Montenegro bisher im Beitrittsprozess am weitesten fortgeschritten, wobei noch erheblicher Reformbedarf in den Bereichen Justiz, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung besteht. Die aktuelle pro-europäische Regierung Montenegros strebt jedoch einen EU-Beitritt bis 2028 an und zeigt Reformwillen. Serbien hat derzeit 22 Verhandlungskapitel eröffnet, doch die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo sowie die mangelnde Reformdynamik unter der aktuellen Regierung stellen ein großes Hindernis dar. Nordmazedonien und Albanien haben im Jahr 2022 die Beitrittsverhandlungen gestartet. Mit Bosnien und Herzegowina beschloss der Europäische Rat am 21.03.2024 die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die sezessionistische Agenda der Republika Srpska verhindert derzeit aber die Umsetzung der notwendigen Reformen. Kosovo ist lediglich potenzieller Beitrittskandidat, da er nicht von allen EU-Staaten anerkannt wird. Die Länder des Westbalkans befinden sich teilweise schon seit knapp 20 Jahren in den Beitrittsverfahren. So ist Nordmazedonien schon seit 2005 Beitrittskandidat. Die sich hinziehenden Beitrittsprozesse führen auf dem Westbalkan zu einer Erweiterungsmüdigkeit, der sogenannten EU-Fatigue. Gemeint ist damit der Umstand, dass die für den EU- Beitritt erforderlichen Reformen in den Kandidatenländern an Dynamik verlieren, auch weil nicht mehr an einen Beitritt geglaubt wird. In manchen Staaten findet so anstelle einer Annäherung an die EU eine politische Entfernung statt. Drittstaaten wie Russland oder China nutzen dies, um an politischem Einfluss zu gewinnen. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, hat die Kommission in dem letzten Erweiterungspaket 2023 einen neuen Wachstumsplan für den Westbalkan angenommen. Dieser sieht eine verstärkte wirtschaftliche Integration in den Binnenmarkt der EU, Förderung der wirtschaftlichen Integration innerhalb des Westbalkans, Beschleunigung grundlegender Reformen sowie die Aufstockung der Finanzhilfe zur Unterstützung der Reformen durch eine Reform- und Wachstumsfazilität für den Westbalkan im Zeitraum 2024-2027 vor. Die Verordnung zur Reform- und Wachstumsfazilität ist im Mai 2024 in Kraft getreten. Insgesamt sind darin 6 Mrd. Euro für den Westbalkan vorgesehen.

Das BMWK begleitet den Erweiterungsprozess intensiv, unterstützt alle Beitrittskandidaten und hat dabei gleichzeitig einen Blick sowohl auf die Beitrittsfähigkeit der Kandidaten als auch auf die Aufnahmefähigkeit der EU. Die EU wird sich auch intern reformieren müssen, um künftig mit einer Vielzahl neuer Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Ausgangspositionen geeint und zugleich handlungsfähig zu bleiben. Auch wenn die Beitrittskandidaten noch einen erheblichen Weg mit Reformanstrengungen vor sich haben, bis alle Beitrittskriterien erfüllt sind, werden Deutschland und die EU sie auf diesem Weg unterstützen. Denn ohne ein geeintes und integriertes Europa ist die Sicherung des Friedens auf Dauer nicht möglich.

KONTAKT:

Referat EB5 – EU-Erweiterung, Südosteuropa, Türkei

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Weiterführende Publikationen

https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/eu-enlargement_de

https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/ Europa/eu-erweiterung.html