Titelbild zum Artikel "Transformationskonferenz des BMWK – Erfahrungsaustausch zu neuen regionalpolitischen Ansätzen"

Bundesminister Dr. Robert Habeck bei der Transformationstagung

© BMWK / bundesfoto / CC

Nach dem erfolgreichen Auftakt des neuen Tagungsformats 2023 in Rostock fand am 16. und 17. September 2024 in Essen die 2. Jahrestagung „Regionale Transformation Gestalten“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Kooperation mit dem Land Nordrhein-Westfalen statt. Die Zeche Zollverein bot mit ihrer historischen Bedeutung und hohen Symbolkraft für das Thema Strukturwandel einen würdigen Rahmen für den Austausch unter den knapp 600 Gästen, die vorrangig aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Verbänden, Gewerkschaften und der Wissenschaft kamen.

Die Jahrestagung diente wie im Vorjahr als Begegnungsraum und Plattform dem Austausch über eine große Bandbreite an Themen der Regionalentwicklung und -politik. Den Auftakt machte eine Konferenz am ersten Veranstaltungstag mit vielen hochrangigen Rednerinnen und Rednern, Panel-Diskussionen und einer Vielzahl an Workshops. Am zweiten Veranstaltungstag besuchten die Teilnehmen- den regionale Transformationsprojekte im Ruhrgebiet, das in den letzten Jahrzehnten beispiellose wirtschaftsstrukturelle Veränderungen durchlebt hat und längst auf dem Weg zu einer grünen Industrieregion ist.

Regionalpolitik schafft Zukunftsperspektiven

Bundesminister Dr. Robert Habeck betonte in seiner Rede, dass Strukturwandel Biographien berühre. Menschen bezögen Veränderung immer auch auf ihr eigenes Leben. Es sei daher politische Aufgabe, Perspektiven für die Menschen im Wandel sichtbar zu machen und so Ablehnung möglichst zu vermeiden. Mit dem Gleichwertigkeitsbericht, den die Bundesregierung im Sommer erstmals vorgelegt habe, sei detailliert untersucht worden, wie sich die Lebensverhältnisse in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt haben. Dabei zeige sich: Unzufriedenheit habe keine singulären Gründe wie etwa die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Eine groß angelegte Bevölkerungsumfrage, die eigens für den Bericht durchgeführt worden sei, deute darauf hin, dass die Zukunftsperspektiven ein entscheidender Faktor etwa der Lebenszufriedenheit seien. Regionalpolitik müsse dementsprechend darauf gerichtet sein, Perspektiven zu schaffen und Zukunftsfähigkeit zu stärken. Bundesminister Habeck bekräftigte vor diesem Hintergrund seinen Einsatz für den Erhalt finanzieller Mittel für die regionale Strukturpolitik. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Anspruch und in den Möglichkeiten bedeute, dass Menschen entlang ihrer Lebenssituationen und -räume die gleichen Chancen haben, zufrieden mit ihrem Leben zu sein und sich wohl, gesehen und geachtet zu fühlen. Regionale Strukturpolitik trage damit zur Demokratieförderung bei.

Die stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, begrüßte in ihrer Rede, dass die Tagung in Essen und damit in einer Region stattfand, die wie kaum eine andere vom Strukturwandel geprägt ist. Sie bekräftigte, dass Bund und Länder in diesen Zeiten des Wandels eng zusammenarbeiten müssten.

Transformation sozialverträglich gestalten

Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, eröffnete den Konferenztag mit einem Streifzug durch die Geschichte der Stadt Essen vom Kloster hin zum Industriestandort und anschließend zu einer grünen, weltoffenen Metropolregion. Dieser Wandel habe auch die Herausforderungen und Anforderungen für die Entwicklung der Region verschoben: Auf dem vordersten Platz stünden heute der Fach- und Arbeitskräftemangel. Transformation gelinge – so Kufen – dann, wenn sie sozial verträglich gestaltet sei.

Sven Giegold, Staatssekretär im BMWK, nannte daran anknüpfend zwei Leitfragen für die Tagung: Erstens, welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen brauche es,damit die Transformation hin zu klimaneutralen und wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Regionen in ganz Deutschland gelingen könne, und zweitens, wie könne dies sozial verträglich und damit nicht auf Kosten einer höheren Verunsicherung oder geringeren Lebenszufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger gestaltet werden. Ein weiteres Ziel bestehe darin, sich aus Energieabhängigkeiten zu lösen und wirtschaftliche Vorteile der Transformation zu nutzen. Der Ausbau Erneuerbarer Energien könne noch stärker als bisher zum Treiber lokaler Wertschöpfung in ländlichen Regionen werden. Giegold verwies auf die zahlreichen Aktivitäten zur Modernisierung der regionalen Strukturpolitik in der laufenden Legislaturperiode, insbesondere auf die Reform der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW). Ein besonderes Augenmerk richtete er zudem auf die europäische Kohäsionspolitik: Der Abbau von Ungleichgewichten zwischen den europäischen Regionen sei eine wesentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt und die weitere Vertiefung der Europäischen Integration. Deutschland setze sich daher auch künftig für eine angemessene Ausstattung und Ausrichtung der Europäischen Strukturfonds ein.

Gleichwertige Lebensverhältnisse schaffen – warum und wie?

Aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchteten in vier Impulsvorträgen und einer anschließenden Paneldiskussion Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), und Prof. Reint E. Gropp, PhD., Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) das Thema gleichwertige Lebensverhältnisse.

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Besuch beim Startup-Hub BRYCK im Rahmen der Exkursion

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Weitgehend Einigkeit bestand darin, dass es flächendeckend bestimmte Mindeststandards bezüglich des Zugangs zu Infrastruktur und Daseinsvorsorge geben müsse. Fuest argumentierte, dass regionale Mindeststandards es erlauben würden, zielgerichtet politische Maßnahmen abzuleiten. Südekum verwies unter Bezugnahme auf den Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung auf bedeutende Entwicklungen regionaler Unterschiede in Deutschland und deren Ursachen. Hüther argumentierte mit dem Fehlen von Mindeststandards bei der Daseinsvorsorge und damit auch dem fehlenden Chancenzugang. Es gehe darum, ein staatliches Leistungsversprechen im Sinne eines „vorsorgenden Investitionsstaats“ einzulösen. Hüther wies zudem darauf hin, dass regionale Unterschiede in Deutschland trotz verbleibender struktureller West-Ost-Unterschiede im internationalen Vergleich zwar relativ gering seien, sich die subjektive Wahrnehmung jedoch unter anderem hinsichtlich Daseinsvorsorge und der Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen teils erheblich zwischen Regionen unterscheide; hier sei auch ein Zusammenhang mit jüngeren Wahlergebnissen erkennbar. Gropp wies darauf hin, dass in Ostdeutschland derzeit eine große Wanderungsbewegung vor allem jüngerer Menschen in Richtung der Städte erkennbar sei. Daraus ergebe sich eine große Heterogenität: Mit Berlin und Leipzig lägen in Ostdeutschland zwar sowohl die am stärksten wachsenden Regionen, jedoch auch die am stärksten schrumpfenden Regionen Deutschlands mit entsprechenden Herausforderungen.

Kontrovers diskutiert wurde die Frage, was Regionalpolitik darüber hinaus leisten könne oder solle. Südekum warb für einen proaktiveren Ansatz in der Regionalpolitik und eine stärkere Fokussierung auf Regionen, die unter einem hohen Transformationsdruck stehen. Es sei im Sinne einer regionalen Industriepolitik daher notwendig, entweder die GRW auszubauen und zu flexibilisieren oder ein neues industrie- bzw. transformationspolitisches Instrumentarium zu schaffen. Auch Hüther sah Raum für eine aktivere Rolle des Staates in der Transformation. Es brauche für die notwendigen Investitionen beispielsweise verlässliche Infrastruktur und Regulatorik. Fuest sprach sich dafür aus, regionale Strukturpolitik auf Wandel von wirtschaftlichen Strukturen und Aktivitäten statt auf deren Erhalt auszurichten. Der Staat solle sich vorrangig auf „neutrale“ Aufgaben wie eine verlässliche Infrastruktur konzentrieren und industriepolitisch Zurückhaltung üben. Hinsichtlich der Effizienz bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen der Förderung von Wachstumskernen und der Idee, Wachstum in die Regionen zu tragen. Auch Gropp warb für eine zurückhaltende Industriepolitik und warnte angesichts knapper Haushaltsmittel vor Fehlallokationen. Er argumentierte darüber hinaus ähnlich wie Fuest, dass es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht geboten sein könne, Förderung stärker auf Ballungsräume zu fokussieren, da Unternehmen hier produktiver seien.

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Panel zur Transformation vor Ort

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Wie gelingt die Transformation vor Ort?

Ein Panel mit Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Vorstandsmitglied der RAG-Stiftung, Andre Boschem, Geschäftsführer der Essener Wirtschaftsförderung, Katja Dörner, Oberbürgermeisterin der Bundesstadt Bonn und Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages, Garrelt Duin, Regionaldirektor des Regionalverbands Ruhr, Hind Seiferth, Gründerin und Geschäftsführerin der Unigy GmbH, und Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, rückte die Frage in den Vordergrund, wie die Transformation vor Ort konkret gelingen könne.

Auf übergeordneter Ebene wurden gemeinsame Visionen, Vernetzung und das vertrauensvolle Miteinander als wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Transformation thematisiert. Einigkeit bestand darin, dass die Teilhabe an Veränderungsprozessen für die Bürgerinnen und Bürger essenziell sei. Mit Blick auf konkrete lokale Aufgaben wurden die Themenfelder Infrastruktur, Bildung, Innovationsförderung, Fachkräfte und Integration sowie die Bedeutung von Eigenverantwortung in Verbindung mit Freiheiten und Experimentierräumen diskutiert.

Interaktive Diskussion mit Bundesminister Habeck zu Erfolgsfaktoren für gelingende Transformation

In einer Fishbowl-Diskussion von Bundesminister Habeck mit verschiedenen Akteuren wurde deutlich, dass Engagement und Initiative vor Ort viel bewirken können – sei es beim Thema Gründung, in der Wissenschaft und in den Unternehmen – aber auch, wie wichtig gute Rahmenbedingungen, Planungssicherheit, Infrastruktur und Vernetzungsmöglichkeiten für erfolgreiches Engagement sind. Beleuchtet wurde zudem die Perspektive jüngerer Menschen, die sich großen Unsicherheiten gegenübersehen. Der Nutzung bestehender Potenziale und der Investition in Bildung und Ausbildung wurde ebenfalls große Bedeutung zugemessen, gerade mit Blick auf den demographischen Wandel.

Bürgerinnen und Bürger stellen Ergebnisse einer Dialogwerkstatt zu gleichwertigen Lebensverhältnissen vor

Bürgerinnen und Bürger präsentierten die Ergebnisse einer Dialogwerkstatt zum Thema gleichwertige Lebensverhältnisse, die am Wochenende vor der Veranstaltung in Essen stattgefunden hatte. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf den Themen Verkehr, Infrastruktur, Bürokratieabbau und effiziente Verwaltung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen sich für eine stärkere Verlässlichkeit des öffentlichen Personenverkehrs, mehr Sicherheit für Fußgänger, Personen mit Behinderung und Fahrradfahrenden sowie eine gute Anbindung ländlicher Regionen aus. Mit Blick auf Bürokratie sei es wichtig, digitale, aber auch zugängliche Prozesse und einen besseren Informationsaustausch zu schaffen. Bundesminister Habeck dankte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die Anregungen und stellte heraus, wie wertvoll solche Räume seien, in denen unterschiedliche Menschen zusammenkommen und ergebnisoffen diskutieren können.

Workshops und Ausstellungen dienen der vertieften Befassung mit Themen der Regionalentwicklung

Eine Vielzahl engagierter Akteure gestaltete insgesamt 13 Workshops, die vertiefte Einblicke in verschiedene Themenfelder der regionalen Entwicklung erlaubten. Die Bandbreite der Workshopthemen reichte von den Potenzialen von Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund auf die Regionalentwicklung über die gemeinsame Gestaltung des Wandels von Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Unternehmen, einer vorausschauenden Strukturpolitik, Möglichkeiten der Wohlfahrtsmessung und Potenzialen der Digitalisierung bis hin zur Kohäsionspolitik der Europäischen Union.

Vertiefte Einblicke und Vernetzungsmöglichkeiten ermöglichte auch eine Ausstellung, bei der sich unter anderem Projektverantwortliche aus dem Bundeswettbewerb „Zukunft Region“ und dem Modellvorhaben „Unternehmen Revier“ vorstellten.

Internationale Perspektive rundet Konferenztag ab

Die Abendveranstaltung, die Gelegenheit zur Vernetzung bot, wurde von der Auszeichnung erfolgreicher Projektanträge im Bundeswettbewerb „Zukunft Region“ durch Staatssekretär Sven Giegold und von zwei Vorträgen aus internationaler Perspektive eingeläutet. Prof. Dr. John Bachtler, Professor für European Policy Studies und Direktor des European Policy Research Center an der Universität Glasgow, verwies auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Stagnation und gesellschaftlicher Unzufriedenheit und warb angesichts dessen für eine zukunftsorientierte europäische Kohäsionspolitik. Arianna Legovini, Direktorin für Entwicklungsökonomik bei der Weltbank, hob die Bedeutung evidenzbasierter Wirtschaftspolitik und den Wert empirischer Forschung mit Blick auf regionale Entwicklung hervor.

Exkursionstag im Zeichen der Besichtigung und Diskussion regionaler Projektbeispiele

Am zweiten Veranstaltungstag besuchte ein kleinerer Kreis interessierter Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfolgreiche Projekte regionaler Transformation im Ruhrgebiet. Die Exkursion wurde in Kooperation mit der lokalen Wirtschaftsförderung Business Metropole Ruhr (BMR) durchgeführt.

Im Rahmen des Besuchs des von der RAG-Stiftung initiierten Start-up- und Innovationshubs BRYCK stellten eine Reihe erfolgreicher Start-ups ihre Ideen, Innovationen und Beiträge zur Regionalentwicklung vor. Die zweite Station diente der Besichtigung und Diskussion des Stadtentwicklungsprojekts Freiheit Emscher zur Revitalisierung von fünf ehemaligen Bergbaustandorten. Der abschließende Besuch des Innovationsquartiers MARK 51°7 in Bochum stand ganz im Zeichen der Frage, wie sich aus einem ehemaligen Zechengelände, das anschließend über 50 Jahre Fertigungsstätte eines Automobilherstellers war, ein neues Zuhause für Unternehmen und Institutionen gestalten lässt, die in Wissen und Technologie investieren.

3. Jahrestagung findet im März 2025 in Goslar statt

Vom urbanen Ruhrgebiet geht es für die 3. Jahrestagung „Regionale Transformation Gestalten“ Richtung Harz und damit in eine eher ländlich geprägte Region: Die Tagung wird am 17. und 18. März 2025 in Goslar stattfinden. Alle an der Tagung Interessierten sind eingeladen, sich beim Referat ID1 im BMWK (buero-ID1@bmwk.bund.de) zu melden.

KONTAKT & MEHR ZUM THEMA

Referat: ID1 – Regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik,
Gemeinschaftsaufgabe (GRW), Gesamtdeutsches Fördersystem

schlaglichter@bmwk.bund.de

Weitere Informationen zur regionalen Strukturpolitik des Bundes:
www.bmwk.de/regionalpolitik

Programm der Jahrestagung:
https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Veranstaltungsarchiv/jahrestagung-zur-gestaltung-regionaler-transformation.html